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Knigge hielt bis zuletzt zu Lindner

Schon bei dem früheren Arbeitgeber des inhaftierten Ex-Klinikchefs Lindner waren dubiose Geschäftspraktiken aufgefallen. In Bremen hätte man das alles erfahren können – aber nicht gefragt

von Klaus Wolschner

Wenn der langjährige Werder-Präsident und frühere Chef des Klinikums Links der Weser, Franz Böhmert, sich mehr um die Krankenhäuser und weniger um den Fußball gekümmert hätte, dann wäre vielleicht der Klinikskandal vermeidbar gewesen. Dieser Eindruck drängte sich gestern im Untersuchungsausschuss „Klinikverbund“ auf. Als Zeuge war Reinhard Brase geladen, früher Anästhesist in der Klinik Links der Weser, später Vorstandsmitglied bei den Wittgensteiner Kliniken (WKA) und dort Nachfolger von Wolfgang Tissen, der 2004 in Bremern Chef aller Krankenhäuser wurde. Während eines Fluges habe er seinem alten Chef Böhmert signalisiert, dass die Rolle von Tissen in der WKA alles andere als unumstritten gewesen war, berichtete Brase. Er habe damit gerechnet, dass Böhmert nachfragen würde – der sei aber schnell auf das Thema Fußball übergegangen.

Damit war eine Chance vertan. Die andere Chance, die Bewerber etwas genauer kennen zu lernen, hätte ein normales Bewerbungsverfahren bedeutet. Der Personalsachbearbeiter berichtete gestern, dass er nicht einmal die üblichen Zeugnisse für die Akte erhalten habe. Irgendwie habe sich, als er danach fragte, niemand richtig zuständig gefühlt. Und als dann Tissen wenige Monate später aus den WKA Andreas Lindner nachholte, habe sich auch niemand richtig erkundigt. In der WKA jedoch, so berichtete Brase, gab es den Verdacht, dass Lindner mit alten Freunden Beraterverträge abschließt, Absprachen nicht einhält, eigenmächtig handelt. Nachdem er im Februar 2005 ausgeschieden war, habe man diverse Verträge, die Lindner geschlossen hatte, sofort gekündigt. Ein aktuelles Zeugnis seines alten Arbeitgebers musste Lindner in Bremen genauso wenig vorlegen wie ein polizeiliches Führungszeugnis.

Spannend war die Aussage von Brase auch aus einem anderen Grund: Bei der privaten Klinik-Gesellschaft WKA gab es strenge Regelungen für Geschäftsführer. Schon mit kleinen Summen war Lindner auffällig geworden und hatte umfangreiche Kontrollmaßnahmen ausgelöst. Bei Ausgaben über 10.000 Euro musste ein weiterer Konzerngeschäftsführer gegenzeichnen. In den kommunalen Kliniken gab es selbst bei siebenstelligen Summen kein Controlling.

Im März 2006 hatte der Staatsrat des Gesundheitsressorts, Arnold Knigge, eine letzte Chance, sich ein Bild von den Zuständen in den von ihm zu verantworteten Kliniken zu informieren. Denn als Gegenspieler Lindners hatte der ärztliche Direktor des Klinikums Bremen-Ost, Peter Haack, eine umfangreiche Liste mit Merkwürdigkeiten in der Geschäftsführung zusammengestellt. In der Klinik war der Streit mit Lindner so eskaliert, dass Lindner seinem ärztlichen Direktor den Rausschmiss angedroht hatte. Als Haack sich vertrauensvoll an seinen Staatsrat und Aufsichtsratsvorsitzenden wandte, machte Knigge klar, dass er eindeutig auf der Seite von Lindner stehe. Warum diese unkritische Parteinahme? Haack meinte gestern, die aus der Privatwirtschaft angeheuerten Geschäftsführer seien für das Gesundheitsressort die Vertreter der „neuen Zeit“ gewesen, denen sie vertrauen wollten. Mitte März, so Haack, habe er dem Ressort den Hinweis auf Gerüchte gegeben, dass Lindner als Eigentümer der Siekertal-Klinik Geschäfte mit sich selbst mache. Es dauerte bis Juni, ehe Konsequenzen gezogen wurden.

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