: Der Traum von der Spreedroschke
Gerhard Heß hat eine Idee: Er will die Spree mit flinken Wassertaxis bevölkern. Die Konkurrenz sieht das gar nicht gern. Und die Bürokratie lähmt das Projekt mit strikten Auflagen. Heute verhandelt der Verkehrsausschuss des Bundestags über einen Antrag, der Heß seinem Ziel näher bringen könnte
VON JAN STERNBERG
Wir dürfen uns Gerhard Heß nicht als Träumer vorstellen. Eher als Macher, bei dem es von der Idee bis zur Umsetzung nicht sehr weit ist. Normalerweise. Doch dann hatte Heß eine Idee, die seine ganze Hartnäckigkeit forderte. Weil er sich mit der deutschen Ministerialbürokratie anlegte. Vor gut vier Jahren schaute der heute 50-Jährige in Berlin auf die Spree und stellte sich vor, wie dort Wassertaxis fahren. Wie in Rotterdam, wie in Venedig. Kleine Flitzer zwischen Reichstag und Museumsinsel, zwischen Jannowitzbrücke und Osthafen. Fünf Euro die Fahrt. Die Boote können vom Steg herangewunken oder über eine Infosäule per Funk bestellt werden.
Damals schien alles noch ganz einfach: ein Boot kaufen und anfangen. Inzwischen sind vier Jahre vergangen. Heß besitzt zwar ein Wassertaxi, den Nachbau eines New Yorker Boots aus den 1920er-Jahren, aber einen Dienst auf der Spree einrichten konnte er noch nicht. Inzwischen beschäftigen sich der Bundestag und das Bundesverkehrsministerium mit seinem Plan, denn die Spree ist schließlich eine Bundeswasserstraße.
Eine Idee ist zur Machtprobe geworden. Zwischen Bürokratie und Kreativität. Oder zwischen dem Altbewährten und Neuen, die naiv die Standards aushöhlen. Je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet.
Eine Yacht als Meisterstück
Maritim angehauchte Einfälle hatte Gerhard Heß schon so einige. Erst die Windsurfing-Schule am Wannsee, die Heß Ende der 70er-Jahre eröffnete. Dann die Idee, eine eigene Yacht zu bauen. Für die ging er nach Schleswig-Holstein, lernte Bootsbauer und erfüllte sich als Meisterstück seinen Traum (für Eingeweihte: eine 33-Fuß Colin Archer, gaffelgetakelt). Dann kehrte er nach Berlin zurück, hinter den Schreibtisch des Familienunternehmens für Bürobedarf. Nach zehn Jahren zwischen Zirkeln und Tonerkartuschen war es endlich mal wieder Zeit fürs Wasser. Fürs Wassertaxi.
Gerhard Heß ging zum Wasser- und Schifffahrtsamt, wo ihm schnell klargemacht wurde, dass man ein Wassertaxi nicht als Charterboot, sondern als Personenschiff betrachte. Ein feiner Unterschied mit großen Folgen: Für Personenschiffe sind mindestens zwei Mann Besatzung vorgeschrieben. Wegen der Sicherheit beim An- und Ablegen oder wenn ein Passagier über Bord geht. Für große Ausflugsdampfer mag dies eine sinnvolle Regelung sein, aber für ein Wassertaxi mit acht Plätzen, bei dem der Käpt’n die Lage stets im Blick haben müsste?
Wirtschaftlich wäre solch ein Taxidienst dann nicht mehr zu betreiben, argumentiert Heß. Um zu demonstrieren, dass es auch alleine geht, fährt er immer wieder Probe mit seinem New Yorker Taxi-Nachbau in Gelb mit schwarz-weißem Schachbrettstreifen. Mit Delegationen des Wasser- und Schifffahrtsamtes und des Verkehrsministeriums beispielsweise. Er sagt: „Bei Mann über Bord halte ich an, wende und fische ihn raus. Das geht viel schneller und ist viel sicherer als bei den großen Schiffen, egal wie viel Besatzung dort an Bord ist.“ Und wie will er alleine die Sicherheit beim Anlegen gewährleisten? „Das ist auch kein Problem. Entweder ich mache nur vorne fest und stelle den Motor so ein, dass das Schiff gegen den Anleger drückt, oder ich gehe als Erster an Land und bitte die Passagiere, so lange sitzen zu bleiben.“ Praktisch, das will Heß damit zeigen, wäre alles problemlos zu lösen. Seine Firma „Spreecab“ steht in den Startlöchern. Doch getan hat sich noch nichts.
Denn das Altbewährte hat eine starke Lobby: die Reedereien, die mit einer ständig steigenden Zahl von Schiffen Touristen unter den Brücken der Berliner Innenstadt herumschippern. Die wünschen sich nichts weniger als eine Konkurrenz, die nach anderen Regeln spielen darf. Gerade wegen der drangvollen Enge auf den innenstädtischen Wasserwegen dürften die Richtlinien auf keinen Fall aufgeweicht werden, fordert Jürgen Loch, Geschäftsführer der Stern- und Kreisschifffahrt, des Berliner Platzhirschs im Gewerbe. Unter der Weidendammer Brücke an der Friedrichstraße gebe es im Sommer bis zu 60 Schiffsbegegnungen in der Stunde. Eine Änderung der Sicherheitsrichtlinien sei nicht zu vertreten.
Alles vorgeschobene Argumente, meint Heß. Inzwischen beschäftigt sich auch der Bundestag mit den Wassertaxis. Ein von allen Fraktionen unterstützter Antrag mit dem Titel „Grünes Licht für Wassertaxen“ wird heute im Verkehrsausschuss verhandelt. Den Wirtschaftsausschuss hat er bereits im Dezember passiert. Der hartnäckige Heß hat den politischen Betrieb in Gang gebracht. Und das Bemerkenswerteste daran: Er hat noch nicht einmal etwas dafür getan. Jedenfalls keine Lobbyarbeit. Das kenne er gar nicht, sagt er. Es war wohl eher so, dass einige Berliner Landespolitiker von der Idee angetan waren, weil man mit dem Wassertaxi die Vermarktung des Osthafengeländes fördern könnte. Die Mischung aus Universal Music, MTV, Entertainment und sommerlichem Strandbarleben wirkt manchmal wie aus dem Traumkasten der Stadtvermarkter. Dazwischen herumsausende Wassertaxis in New Yorker Optik würden dieses Bild perfekt abrunden. „Dort wäre es am einfachsten“, sagt Heß.
Hoffnung Humboldthafen
Das liegt auch daran,dass seine Taxis von privaten Anlegeplätzen profitieren könnten. In der Innenstadt werden die Anleger vom Senat genehmigt und von den Reedereien gekauft – ein weiteres Mittel, die Konkurrenz überschaubar zu halten. Natürlich bewirbt sich dort auch Heß um Anleger, was das Misstrauen bei den Reedereien erhöht. Und er hofft, dass am Humboldthafen, direkt am neuen Hauptbahnhof, dieses Prinzip bald durchbrochen wird. „Da soll es demnächst einen Anleger für alle geben.“
Erst einmal muss Gerhard Heß weiter auf die Politik warten. Eine Wassertaxi-Richtlinie braucht ihre Zeit. Manche Bundestagsabgeordnete befürchten, dass das Parlament nur einen Scheinsieg gegen die Ministerialbürokratie erringen wird. „Den Ein-Mann-Betrieb kriegen wir erst einmal nicht durch“, vermutet der FDP-Abgeordnete Patrick Döring. Seine Fraktion hatte das Thema als erste eingebracht. „Das Ministerium wird nur zu überzeugen sein, wenn sich die zwei Mann Besatzung im laufenden Betrieb als überflüssig erweisen.“ Heß müsse also erst einmal loslegen. Er wird auch das machen. Er will der erste Wassertaxi-Betreiber in Deutschland sein. Dafür, dass ihm das gelingt, ist er stur genug.
Seine Gegner warnen unterdessen: „Wir wollen in Berlin doch keine Bangkoker Verhältnisse, wo jeder kreuz und quer übers Wasser fährt, wie es ihm gefällt“, schimpft Stern-und-Kreis-Manager Jürgen Loch. Gerhard Heß freut sich über diesen Satz. Er ist in den Weihnachtsferien ohnehin nach Bangkok gefahren. „Ich habe ein paar Videoaufnahmen mitgebracht“, sagt er und lacht.