: Als Verkaufen noch ein Spiel war
KAUFMÄNNSLÄDEN Die Welt en miniature und als Ware: Im Stadtmuseum Berlin wirkt sie ganz unschuldig
Geröstete Gerste gibt es für 15 Pfennig pro Pfund, Feigenkaffee kostet 19 Pfennig das halbe Pfund, immerhin billiger als Malzkaffee. Aber unschlagbar bon marché sind die „Feinsten Cichorien“: 9 Pfennig pro halbem Pfund. Dazu liefern die sprücheklopfenden Jungs von „Bimmel-Bolle“ einem die Vollmilch direkt in die Küche. Und wenn man den Muckefuck damit tüchtig streckt, dann geht’s vielleicht sogar mit dem Geschmack.
So einen jener weißen, mit Extra-Hähnen für Sahne, Voll- und Magermilch ausgestatteten Bolle-Milchwagen, die im 19. Jahrhundert zuhauf durch die Berliner Gassen rumpelten, kann man bei der Ausstellung „Was darf’s denn sein? Kinderträume Kaufmannsläden“ in Miniaturgröße angucken: Das Stadtmuseum Berlin im Märkischen Museum hat sich vorgenommen, die Einzelhandelsgeschichte der Stadt anhand von thematisch passendem Spielzeug zu erzählen. In sechs Räumen kann man sich darum Mini-Einkaufsläden angucken, in denen Kolonialwaren, Fleisch oder Blumen in Regalen liegen und an kleinen Haken hängen, man kann mit winzigen Schaufeln Mini-Getreide auf klitzekleine Waagen rieseln lassen, bis das Kilo voll ist, kann eine Kiste „Chabeso Cola“ in Puppengröße verkaufen, Jacobs-Kaffee-, Pril- und Wipp-Perfekt-Pappschächtelchen dazulegen und im Stoffgeschäft wunderbare Spitze an streichholzlangen „Ellen“-Maßstäben abmessen.
An der pittoresken Spielzeugladenwelt lässt sich derweil die Veränderung der großen, echten Welt beobachten: „Recht sonderbar, nicht wahr?“, fragt ein Plakat aus den frühen 50er Jahren in flotter Schreibschrift. „Bis jetzt sind Sie doch immer von einer netten Verkäuferin bedient worden. Aber wozu das noch? Mit dem Körbchen in der Hand“ konnte man nämlich neuerdings „nach US-Vorbild“ auch in Selbstbedienungsläden shoppen gehen. Und Tante Emma befindet sich seitdem auf dem steil absteigenden Ast.
Die alte, riesige und von neugierigen MuseumsbesucherInnen eigenhändig bedienbare Registrierkasse, deren Geldschublade einem mit einigen Atü in die Magengrube fährt, wenn man nach dem Summenhebeldrehen nicht rechtzeitig die Hüften nach hinten streckt, birgt geräumige Fächer für Mark und Pfennig, die es in einem Extra-Raum anzugucken gibt: Die Entwicklung des für jeglichen Handel unabkömmlichen Mammons und des Spielgeldes hat das Museum in zwei Vitrinen ausgestellt, selbstverständlich aufgeteilt in Ost und West. Natürlich stehen auch ein paar begehbare, moderne Spielzeug-Einkaufsläden herum, in denen hölzerne Gemüse und piepende Elektrokassen den Kindern ein ökonomisches Grundverständnis vermitteln sollen.
Das Schönste, außer den liebevoll gemachten Miniaturen von Würstchen und Deko-Rüschen für ausschweifende Opernhüte, sind aber die Fotos, die die handelnde Großstadt in Vor- und Nachkriegszeiten zeigen: Feixende Bolle-Jungs in weißen Milch-Uniformen, Hertie-Kaufhaus und „Keine Feier ohne Meyer“-Werbung, langsam erkennt man die Entwicklung von Markthallen, von denen heute nur noch wenige als solche genutzt werden, über Krämerläden, die so hießen, weil die Bäcker in der Prä-Fensterscheiben-Zeit ihr Brot direkt auf den Fensterläden anboten, bis hin zum Supermarkt und Discounter. Das ebenfalls einsehbare sogenannte Spaltenbuch, das die 1914 geborene Kaufmannstochter Ursula Kleinmichel von 1945 bis 1992 führte und darin penibel jeden Ein- und Ausgang vermerkt, bringt einen der wenigen persönlichen Blickwinkel in die Sammlung.
Ansonsten muss die Ausstellung offen lassen, ob es vielleicht doch einen Zusammenhang zwischen dem unschuldigen „Was hätten Sie denn gern?“-Spiel eines Kindes und dem Schuldner-Dasein eines modernen Shopaholics gibt. Was man angesichts der niedlichen Geschäftchen einfach nicht gern glauben möchte. JENNI ZYLKA
„Was darf‘s denn sein? Kinderträume Kaufmannsläden“, Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, Di, Do, So 10–18 Uhr, Mi 12–20 Uhr, Eintritt 5 €/erm. 3 €, Kinder/Jugendliche Eintritt frei, jeden 1. Mittwoch im Monat Eintritt frei, www.stadtmuseum.de