Stadtsituationen in groß, undurchschaubar

MALEREI Die Akademie der Künste ehrt die Künstlerin Corinne Wasmuht mit dem Käthe-Kollwitz-Preis und einer Ausstellung

Seltsam schwebend kommen diese Bilder daher, behutsam austariert

VON KITO NEDO

Das Bild lässt den Augen keine Ruhe. Sie springen von einem Punkt zum nächsten, suchen nach einem Einstieg, einer Erzählung. Es gibt viel zu sehen: schemenhafte Techno-Tänzer im Strobo-Licht, DJ-Silhouetten, Sänger vor Mikrofonen, Drogenesser, Haschischraucher, konzentrierte Chirurgen im OP-Saal, ein Laserstrahl tastet einen narkotisierten Körper ab, ein einsamer Wissenschaftler steht an einem Rechenzentrum-Terminal.

1999 hat Corinne Wasmuht das Bild „Menschen im Kunstlicht“ in Öl auf Holz gemalt. Es ist in der zeitgenössischen Malerei bis heute eines der besten Bilder zum Thema Nachtmenschen in der Großstadt geblieben. Wie mit einem Vorschlaghammer hat die Malerin zunächst die große, grell-bunte Erzählung von der Nacht zertrümmert, um sie nachher als seltsame Würfelwelt wieder zusammenzusetzen. Als Kristalle haften die einzelnen Bildteile wie durch geheimnisvolle Anziehungskräfte aneinander und ergeben so etwas Neues. „Ich komme von der Collage“, hat die Künstlerin bei der Pressekonferenz erzählt. Man könnte dieses wunderbar-eigenartige Bild ewig betrachten – mit dem Gefühl, immer wieder andere Details zu entdecken.

Den Seltsamkeiten des Lichts und den Techniken der Collage ist die 1964 in Dortmund geborene Malerin bis heute auf der Spur geblieben, das zeigt die kleine, absolut sehenswerte Überblicksschau mit knapp 20 Bildern von Anfang der Neunziger bis in die Gegenwart, die derzeit in der Berliner Akademie der Künste im Hansaviertel zu sehen ist.

Und doch hat sich das, was und die Art, wie Wasmuht malt, in der Zwischenzeit radikal geändert. (Vielleicht stellt das eingangs erwähnte „Menschen im Kunstlicht“ sogar eine Art Scharnier zwischen dem frühen und dem mittleren Werk der Malerin dar.) In den Neunzigern sind die Wasmuht-Bilder noch von hermetisch wirkenden, akribisch umgesetzten Sujets bestimmt: Zwischen 1991 und 1993 entstand etwa die dreiteilige brünett-blonde Frisurenparade „Haare“, die unterschiedliche Zopffrisuren zu einer Art Landschaft vereint (und heute irgendwie ständig an Julia Timoschenko denken lässt).

Auch die schönen, Mitte der Neunziger gemalten „Biologie-Bilder“ (etwa „Mikroskopische Anatomie“, 1994), die verschachtelte Raumsituationen mit der Struktur von Zellkörpern verschmelzen und der Künstlerin zufolge bei ihrer ersten öffentlichen Präsentation in der Kölner Galerie Johnen & Schöttle noch auf einhellige Ablehnung stießen, tragen einen ähnlich geschlossenen Charakter. Sie sind verwandt mit den durchgängig gestreiften Interieurs, die das Grauen vom neumodischen, sogenannten Design-Hotels vorwegnehmen („Räume“, 1996).

Was danach genau passiert ist, löst die Ausstellung nicht auf. Vermutlich ist es der Einzug von Computer und Digitalkamera in das Atelier. Denn seit Anfang der Nullerjahre malt Wasmuht, die ihre Jugend als Tochter eines deutschen Ingenieurs in Argentinien verbrachte und in den Achtzigern an der Kunstakademie in Düsseldorf studierte, hauptsächlich großformatige, schwer durchschaubare Stadtsituationen, bei denen es um die Durchdringung von Orten geht: weite, superperspektivisch aufgebaute Stadträume, in denen Autos und Passanten nur noch schemenhaft erscheinen. Seltsam schwebend kommen diese Bilder daher, behutsam austariert zwischen Abstraktion und Figuration.

Weil sie so groß sind, ermöglichen sie dem Betrachter das mühelose Eintauchen. Das im vergangenen Jahr entstandene „Pehoé Towers“ etwa, knapp zwei Meter hoch und sieben Meter langes Großformat sieht aus, als hätte Wasmuht mithilfe eines Copy-&-Paste-Befehls zunächst die Ansicht einer Fußgängerpassage dreimal nebeneinandergesetzt – allerdings in unterschiedlichen Stadien der Angegriffenheit und in verschiedenen Modi der Überlappung.

Tatsächlich arbeitet die Künstlerin im Vorfeld der malerischen Produktion mit dem Computer, mit dessen Hilfe sie Vorstudien betreibt: „Der Computer ist ein Werkzeug.“ Die Bilder selbst führt sie jedoch in einer mühseligen, altmeisterlichen, oft monatelangen Malarbeit aus; sie bestehen größtenteils aus winzig kleinen Farbpunkten, die das eigentliche Bild erst im Auge der Betrachter entstehen lassen.

Der Berliner Philosoph Marcus Steinweg hat für diese Wasmuht-Bilder mit ihren schwebend-festen Gefügen den schönen Begriff „Logosarchitekturen“ gefunden: „Sie indizieren die exzessive Heterogenität des Realität genannten Raums.“ Das klingt erst mal verkopft. Aber zum Kopf gehören die Augen.

■ Corinne Wasmuht, bis 10. August, Akademie der Künste, www.adk.de