: „Es endet heute Nacht“
AMTSVERZICHT Militär drängt Staatspräsident zum Rücktritt. Husni Mubarak kündigt Ansprache an die Nation für den Abend an
GENERAL HASSAN AL-RUEINI ZU DEN DEMONSTRANTEN
KAIRO/ BERLIN dapd/afp/taz | In Ägypten verdichteten sich am Donnerstagabend die Hinweise auf einen baldigen Rücktritt von Präsident Husni Mubarak. Die Streitkräfteführung teilte mit, sie habe „zum Schutze des Landes“ interveniert; sie kündigte zudem an, Präsident Husni Mubarak werde ihre Forderungen erfüllen. Demonstranten fordern seit 17 Tagen den sofortigen Rücktritt des 82-jährigen Staatschefs, der seit 30 Jahren autoritär regiert. Mubarak selbst wollte sich am Abend in einer Fernsehansprache an das Volk wenden.
Die Abdankung Mubaraks sei seinen Informationen zufolge „sehr wahrscheinlich“, sagte auch der Chef des US-Geheimdienstes CIA, Leon Panetta, vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses in Washington. US-Präsident Barack Obama zeigte sich zurückhaltend. „Wir müssen einfach sehen und abwarten, was passiert“, sagte er am Donnerstag.Der Generalsekretär der ägyptischen Regierungspartei, Hossam Badrawi, deutete indirekt einen Rücktritt Mubaraks an. Dieser hatte bislang erklärt, er wolle bis zur nächsten Präsidentenwahl im September im Amt bleiben und dann nicht erneut kandidieren. Der für den Großraum Kairo zuständige General Hassan al-Rueini sagte vor tausenden Demonstranten auf dem Tahrir-Platz der Hauptstadt: „Alle eure Forderungen werden heute erfüllt.“
Der US-Sender ABC berichtete, Generalstabschef Sami Eman habe einem ihrer Reporter gesagt: „Es endet heute Nacht.“ Der US-Sender NBC meldete unter Berufung auf zwei Quellen in der ägyptischen Regierung ebenfalls, dass Mubarak in der Nacht zum Freitag zurücktreten werde.
Nach Informationen des Senders soll nach einem Rücktritt Mubaraks Vizepräsident Omar Suleiman an die Staatsspitze rücken. Mubarak hatte ihn in den ersten Tagen der Proteste zum Vize-Präsidenten ernannt. Suleiman war zuvor 20 Jahre lang Chef der ägyptischen Geheimdienste und gilt als Schlüsselfigur in der Außenpolitik des Landes, unter bei den Bemühungen im Nahost-Friedensprozess.
Die Armeeführung gab am Nachmittag eine Stellungnahme ab, in der es hieß, dass das Oberkommando in einer „Sitzung ohne Ende“ sei. Die Armee habe „Schritte eingeleitet, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten“. Ein Vertreter des Militärs, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Wir erwarten Anweisungen, die das Volk glücklich machen werden.“
Aufnahmen des Staatsfernsehens zeigten Verteidigungsminister Hussein Tantawi bei dem Treffen mit hochrangigen Offizieren. Nicht anwesend waren Mubarak, der auch Oberbefehlshaber ist, sowie sein Vizepräsident Omar Suleiman, ein früherer General. Der US-Sender CNN meldete, Mubarak habe seinen Posten als Oberkommandierender der Streitkräfte an die Armee zurückgegeben.
Auch AP meldete, dass weder Mubarak noch Suleiman an dem Treffen der Armeeführung teilgenommen hatten. Die AP-Korrespondentin Maggie Michael hielt dies für ein mögliches Zeichen, dass sowohl Mubarak als auch Suleiman von der Armee abgesetzt seien. Das Staatsfernsehen zeigte indes Bilder, wie die beiden im Präsidentenpalast miteinander redeten.
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem zentralen Ort der oppositionellen Proteste, sorgten die Rücktrittsspekulationen für Begeisterung. Dort herrschte nach Angaben eines AFP-Reporters Jubel-Stimmung. Von Seiten der Armee, die den Platz mit Panzern absichert, gab es keine Anzeichen zu einem Einschreiten. Immer mehr Menschen strömten auf den Platz, schwenkten Fahnen und hupten.
Noch vor Kurzem hatte die ägyptische Regierung den Demonstranten im Falle einer Fortsetzung ihrer Proteste indirekt mit der Verhängung des Kriegsrechts gedroht. Sollten „Abenteurer“ den Reformprozess übernehmen, würden sich die Streitkräfte gezwungen sehen, „die Verfassung und die nationale Sicherheit zu verteidigen, und wir werden uns in einer sehr schwierigen Situation wiederfinden“, so Außenminister Ahmed Abul-Gheit noch am Donnerstag zum Fernsehsender al-Arabia.
Ungeachtet dessen gingen aber auch am 17. Tag in Folge die Proteste weiter. Streiks wurden unter anderem in Textilfabriken in Mahalla im Nildelta und Helwan bei Kairo gemeldet; Sit-ins in einer Stahlfabrik, in der Kanalbehörde in Suez, in einer Getränkefabrik und einer weiteren Textilfabrik in Menoufia. In Port Said verwüsteten hunderte Demonstranten die Polizeizentrale und zündeten sie an. In Assiut in Oberägypten besetzten Protestierende eine Bahnlinie, in Alexandria beteiligten sich tausende Verwaltungsangestellte an einem Streik.
In Kairo organisierten 200 Mitarbeiter der Abteilung für Medikamentenüberwachung ein Sit-in und forderten eine Festanstellung und höhere Löhne. Freie Mitarbeiter der Zeitung al-Ahram verlangten eine bessere Bezahlung und mehr Unabhängigkeit von der Regierung. In einem Krankenhaus protestierten 1.500 Krankenschwestern gegen die verspätete Auszahlung ihrer Löhne, und Ärzte einer anderen Klinik zogen in weißen Kitteln auf den Tahrir-Platz.
Ob am heutigen Freitag wie geplant in Kairo eine weitere Großdemonstration stattfindet, war am Vorabend angesichts der Lage unklar. Für diesen Tag hatten Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und acht weitere Organisationen zu einem weltweiten Aktionstag in Solidarität mit der Oppositionsbewegung in Ägypten auf. Außenminister Ahmed Abul-Gheit hatte den Demonstranten zuvor gedroht: Sollte „Chaos“ ausbrechen, würden die Streitkräfte eingreifen, um „die Verfassung und die nationale Sicherheit zu verteidigen“ – „ein Schritt (…), der zu einer sehr gefährlichen Situation führen würde“, sagte er laut staatlicher Nachrichtenagentur Mena dem arabischen TV-Sender al-Arabia.
In einer von Crisis Action organisierten gemeinsamen Pressekonferenz forderten Claudio Cordone von Amnesty International, Tom Porteous von Human Rights Watch und Hossam Bahgat von der ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte ein Ende der willkürlichen Verhaftungen und Gewaltanwendungen seitens der Streitkräfte. Bahgat berichtete, dass die Zahl der Festnahmen, die das Militär in den vergangenen Wochen durchgeführt habe, eine Black Box sei. Die Zahl der Festgenommenen könne in die Tausende gehen.