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„Das ist ein Notbehelf“

ARBEIT Das Jobcenter Hamburg plant 500 „0-Euro-Jobs“. Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) erklärt, warum – und will neue Angebote für Langzeitarbeitslose schaffen

Detlef Scheele

■ 57, ist Sozialsenator des SPD-Senats in Hamburg. Von 2008 bis 2009 war er Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium.

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Scheele, in der Opposition hat die SPD Kürzungen bei Arbeitslosen stets kritisiert. Jetzt regiert sie mit in Berlin – was ändert sich dadurch?

Detlef Scheele: Wir haben in der Koalition erreicht, dass in den Eingliederungstitel (EGT) für Langzeitarbeitslose bis 2017 1,4 Milliarden Euro mehr fließen.

Von den etwa 380 Millionen Euro im Jahr kommt bei den Arbeitslosen nicht viel an.

Wir hätten gern mehr erreicht. Da sowohl Förderung als auch die Verwaltung der Jobcenter davon bezahlt werden, führt dies dazu, dass künftig immer weniger Mittel zur Verfügung stehen.

Das Jobcenter Hamburg plant jetzt 500 „0-Euro-Jobs“, da gibt es nicht mal mehr 1,70 Euro die Stunde. Warum?

Das hat einen anderen Grund. Es gibt bei den Arbeitsgelegenheiten (AGH) strenge Auflagen. Die Arbeit muss zusätzlich und wettbewerbsneutral sein. Das führt zu erheblichen Unsinnigkeiten – zum Beispiel dass man Kanus baut, die nicht fahren dürfen. Diese 500 neuen Maßnahmen sind ein Notbehelf. Sie beruhen auf einer anderen Gesetzesgrundlage, so können wir Langzeitleistungsbezieher trotzdem in sinnvollen Bereichen wie Stadtteil-Cafés beschäftigen. Das Jobcenter bemüht sich, dafür eine kleine Honorierung hinzubekommen.

Seit Sie Arbeitssenator sind, hat Hamburg fast 7.000 1-Euro-Jobs abgebaut. Ein Erfolg?

1-Euro-Jobs halten Menschen erwiesenermaßen vom ersten Arbeitsmarkt fern. Will man Menschen emanzipieren, ihr eigenes Leben zu leben, muss man sie qualifizieren. Wir haben deshalb die Aufwendungen für Umschulungen und abschlussbezogene Maßnahmen erhöht.

Viele Langzeitarbeitslose in Hamburg haben protestiert: Sie hätten lieber ihren 1-Euro-Job, als allein zu Hause zu versauern.

Das stimmt. Es gibt einen Kreis von Menschen, für die wirkt AGH stabilisierend. Sie sind schon vier Jahre und länger im Leistungsbezug und finden einfach keinen Job.

Und was machen die nun?

Wir bieten für diese Personen einen sozialen Arbeitsmarkt. Wir könnten aber mehr tun, wenn wir gemeinsam mit dem Bund eine Strukturreform hinkriegen. Zum Beispiel muss das Kriterium der Zusätzlichkeit entfallen. Und es müssten die Fristen wegfallen, die vorschreiben, dass ein Teilnehmer in fünf Jahren nur zwei Jahre lang Maßnahmen in Anspruch nehmen darf. Wir könnten über Beschäftigungsgesellschaften sozialversicherte Jobs anbieten, die auch über zwei Jahre mit Verlängerungsoption dauern und den Menschen zu Wertschätzung und Stabilisierung verhelfen. Diese Gesellschaften müssten auch Produkte verkaufen dürfen und einen Teil ihrer Kosten erwirtschaften, damit die Tätigkeit ernsthafter wird. Wir sollten aufhören mit der Infantilisierung der Arbeitsmarktpolitik.

Es heißt, Andrea Nahles plane ein Modellprojekt mit rund 100.000 Plätzen?

Wir Länder sind mit dem Ministerium darüber im Gespräch. Eine Variante dabei ist der sogenannte „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT), bei dem wir den Regelsatz von 380 Euro, die Kosten der Unterkunft und das Geld aus dem Eingliederungstitel zu einem Lohn zusammenfassen.

Eine alte Idee der Diakonie. Waren Sie nicht mal dagegen?

Ich war immer skeptisch, aber ich habe meine Haltung geändert, weil es über Passiv-Aktiv-Transfair möglich ist, Geld zu aktivieren, das es im Eingliederungstitel derzeit nicht gibt. Entscheidend ist aber, die Zielgruppe eng einzugrenzen. Ich wäre dafür, mindestens drei Vermittlungshemmnisse und eine vierjährige Arbeitslosigkeit als Voraussetzung zu definieren. Wenn sie einen fitten Teilnehmer haben, der zwei Jahre bleibt, obwohl er schon nach sechs Monaten in Arbeit vermittelt werden könnte, verliert der Staat Geld. Die Träger neigen dazu, sich die fitten Kräfte zu suchen.

Ist das für die Zielgruppe nicht stigmatisierend?

Nein, so sehe ich das nicht. Wenn wir das gut machen, wird das Angebot von den Betroffenen als Hilfe wahrgenommen.

Ist die Teilnahme freiwillig?

Ich wäre dafür. Wird das Programm nicht nachgefragt, ist das ja auch eine Aussage.

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