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Archiv-Artikel

Malochen bis zum Umfallen

Rückenschmerzen und zitternde Hände: Die Rente mit 67 soll kommen, aber wie verkraften das die Menschen? „Das Ziel muss doch sein, dass die Leute gesund in Rente gehen“, heißt es bei der IG Metall. Wer bei VW in Salzgitter am Band steht, kann sich nicht vorstellen, bis zum Ende durchzuhalten

VON KAI SCHÖNEBERG

Etwa fünf Kilo wiegt die Kupplung, die André Meiners 800 Mal pro Schicht aus einem Container einen Meter nach links wuchten und dann auf den 4-Zylinder-Motor stecken und festschrauben muss. „Die Rückenschmerzen kommen ganz plötzlich“, sagt der 42-Jährige an der Endmontage bei Volkswagen in Salzgitter. „Dann kann ich mich nicht mehr bewegen“. Franz Müntefering sagt, auch mit Volksschule Sauerland könne man ausrechnen, dass die Rentenkassen eines Tages zusammenbrechen, wenn nicht gespart wird. „Mit 67 noch hier an der Linie“, sagt André Meiners, „das werde ich wohl nicht mehr schaffen.“

Altersfalle, Rentnerberg – der demographische Wandel hat viele Namen. Arbeitsminister Müntefering will ihm mit dem Altersrentenanpassungsgesetz begegnen, das noch vor Ostern im Bundestag abgesegnet werden soll. Danach soll ab 2012 mit der stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters begonnen werden. Ja, Müntefering ist Sozialdemokrat geblieben: Es soll Ausnahmen für Beschäftigte geben, die 45 Jahre gearbeitet haben.

Für die Gewerkschaften ist die Rente mit 67 nichts als eine verkappte Kürzung der Altersbezüge. Zur Zeit liegt die Erwerbsquote der über 55-Jährigen in Deutschland bei 39 Prozent, jedes Jahr, das weniger gearbeitet wird, bringt 3,6 Prozent weniger Rente. Einer wie Meiners mit seinen 2.500 Euro brutto wird sich überlegen, früher aufzuhören, aber auch die Müllwerker, Stahl- oder Bauarbeiter im Land. Für die IG Metall riecht das nach Altersarmut: In den kommenden Wochen hat sie zu Demonstrationen im ganzen Land aufgerufen. Volksvertreter wurden eingeladen, sich den Malocher-Alltag persönlich anzuschauen.

Heute geht der rückenleidengeplagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bei VW in Braunschweig medienwirksam in die Nachtschicht. Teil der Kampagne ist auch die Pressereise ins VW Motorenwerk in Salzgitter.

In der Kostenstelle 7152 ist es laut und heiß, Dämpfe von Öl und Verdünnungsmitteln liegen in der Luft. „Im Sommer ist eine Sauna ein Scheißdreck dagegen“, sagt der 30-jährige Steffen Brunke, der in der Zylinderkurbelgehäusefertigung die Maschinen instand hält. Wie er das noch 37 Jahre durchhalten soll, weiß Brunke nicht. „Ich bräuchte einen Sechser – aber dafür muss ich erst mal Lotto spielen.“ Sein Kollege Mehmet Alan, 38, fragt: „Wie soll ich denn dann in die Maschinen reinkriechen – auf Krücken?“,

Die VW-Mitarbeiter haben es noch gut. Hier in Salzgitter gibt es Hebe- und Sitzhilfen und sogar einen „Gesundheitspark“, in dem Physiotherapeuten den 6.500 Mitarbeitern an Fitnessgeräten zur Seite stehen. „Das ist ein breiter Strauß von Maßnahmen“, meint Betriebsratschef Andreas Blechner. Kollegen über 60 werde man „damit aber nicht abfangen können.“

„Es ist doch perfide, wenn Müntefering sagt, die Leute sollen einen Schwerbehinderten-Antrag stellen“, ärgert sich die IG Metall-Tarifexpertin Helga Schwitzer, selbst SPD-Mitglied. „Das Ziel muss doch sein, dass die Leute gesund in Rente gehen.“ Schwitzer verweist auf ein zusätzliches Problem: Laut Studien werden mindestens 1,2 Millionen Arbeitsplätze mehr gebraucht, wenn zwei Jahre länger gearbeitet wird. „Wenn wir bei der Betriebsversammlung aufstehen, um der Toten zu gedenken, wird es mir jedes Mal deutlich“, sagt der Metaller Wolfgang Räschke. „Da wird auch das Alter verlesen. Die Hälfte wird die Rente mit 67 nicht erleben“.

Für Betriebsrat Blechner ist selbst Rente mit 63 „Quatsch“. Seine Kollegen scheiden derzeit im Schnitt mit 58,6 Jahren aus – vor allem wegen der Altersteilzeit, die fast 500 Ältere in Anspruch genommen haben.

Aber Ende des vergangenen Jahres war die letzte Chance, sich für den mit Zuschüssen abgefederten Ausstieg aus dem Arbeitsleben anzumelden. Das Programm, durch das VW zur Zeit noch alle Azubis übernehmen kann, läuft aus. Auch Siegfried Klisch, Jahrgang 1950, geht in Altersteilzeit: Im Jahr 2010 geht er mit geringen Gehaltseinbußen in die Freistellung, ab 2012 mit einem Abschlag von 12 Prozent in die Rente. Seit 28 Jahren steht der hagere Mann am Band, zieht Schrauben fest, montiert Kabel an Motoren, die im 45-Sekunden-Takt auf der „Linie“ anfahren. Klisch hat nur kurz Zeit, davon zu erzählen, dass seine Hände nicht mehr so geschmeidig sind. Er sagt: „Bis 67? Da würde ich umfallen.“