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Archiv-Artikel

Im Rausch der Sintflut entwischen

Das Hamburger Mammutprojekt „Karneval Karneval“ der Regisseure und Übersetzer Gabor Altorjay und Carsten Dane präsentiert die ersten 500 Seiten des Romans „Karneval“ des ungarischen Schriftstellers Béla Hamvas

Fr, 19. 1., 19–2 Uhr, Fleetstreet, Admiralitätstr. 74

Manisch produktiv war Béla Hamvas sein Leben lang. Nach traumatischen Erfahrungen während des Ersten Weltkriegs begann der im heutigen Bratislava geborene Autor und Philosoph als Bibliothekar in Budapest mit dem Schreiben. Wie viele Intellektuelle, Künstler und Akademiker wurde er aber wegen „antikommunistischer Aktivitäten“ im Rahmen der „Kultursäuberung“ in die Provinz verbannt. In einer Holzhütte auf einer Baustelle, auf der Hamvas für die Materialausgabe zuständig war, schrieb er indes in jeder freien Minute weiter. Bis zu seinem Tod 1968 hinterließ er 80.000 Seiten Manuskripte, darunter sein 1.500-seitiges Hauptwerk „Karneval“. Zu Lebzeiten wurde davon jedoch nichts veröffentlicht – Hamvas sammelte alles sorgfältig in seiner Bettschublade. Erst Mitte der 80er entdeckte man sein literarisches Vermächtnis und Hamvas wurde zum meistgelesenen Autor Ungarns.

Während Hamvas in seiner Heimat längst zum Kultautor avanciert ist und sein Initiationsroman „Karneval“ als eines der zehn wichtigsten europäischen Bücher der Moderne gehandelt wird, vergleichbar mit „Ulysses“ und dem „Zauberberg“, ist er bis heute in Deutschland nahezu unbekannt geblieben. Lediglich die „Philosophie des Weines“ und zwei schmale Essaybände sind bislang auf Deutsch erhältlich. Weil allerdings dem deutschsprachigen Lesepublikum so „die Orientierung im Jenseits kollektiv verwehrt bleibt. Vom Diesseits ganz zu schweigen“, hat sich das Hamburger Projekt „Karneval Karneval“ um den Regisseur und Drehbuchautor Gabor Altorjay und den Theatermusiker und -regisseur Carsten Dane die Übersetzung des kolossalen literarischen Vermächtnisses Hamvas’ vorgenommen. Das intermediale Projekt, das auf seiner Webseite www.hamvaskarneval.mediatransform.de einen Einblick in seine Arbeit gibt, bietet dabei eine Plattform, die Übersetzungsarbeit nicht nur sprachlich zu leisten. Auch in den „Heimatmedien“ der Übersetzer – Musik, Film, Hörspiel und Theater – soll die Arbeit geleistet werden.

Nun ist das erste Drittel von „Karneval“ übersetzt und das Mammutprojekt präsentiert sich am Freitagabend in einer siebenstündigen Literatur-Theater-Kunst-Performance mit rund 60 Mitwirkenden. Unter anderem unterstützen ungarische bildende Künstler, die eigenständige Beiträge in die Perfomance hineintragen, Altorjay und Dane bei der Inszenierung des „optoakustischen Transfers“ der ersten 512 Seiten Text. Dieser findet dabei auf mehreren Ebenen simultan statt – in der nachgebauten Holzhütte, in der Hamvas den Roman verfasst hat, und auf mehreren Plattformen im Theater und um Fleetstreet herum. Dabei arbeitet das Projekt – ganz im Sinne Hamvas – an einer „rauschartigen Inszenierung“. Ja sogar der Sintflut soll entwischen, wer für ein paar Stunden auf der Arche Noah von „Karneval Karneval“ mitschwimmt. Wer allerdings nicht kommt, so Altorjay knapp, „geht unter!“. ROBERT MATTHIES