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Archiv-Artikel

Atmen im Sack

Der japanische Künstler Yukihiro Taguchi arbeitet mit dem Alleralltäglichsten: mit Atem, Plaste und Spaziergängern. Orientiert an der Aktionskunst, eröffnen seine Arbeiten einen neuen Blick auf zwischenmenschliche Abhängigkeiten und auf Berlin. Seine aktuelle Werkschau heißt schlicht „work 2006“

„Ich will das Gewohnte bewusst machen“, erklärt Taguchi Die schönste Arbeit, „field work: Pumpen“, ist simpel und grandios komisch

Als der 1980 in Osaka geborene Yukihiro Taguchi vor eineinhalb Jahren nach Berlin kam, konnte er nicht wissen, wie der Görlitzer Park, genannt Görli, riecht. Mittlerweile hat er jedoch dort eine Performance gemacht und es herausgefunden: Er hat sich eine speziell präparierte Plastiktüte über den Kopf gezogen, an der zwei Plastikschläuche befestigt waren. Dann hat er die Ränder mit Klebeband abgedichtet. Derart versiegelt, promenierte der japanische Künstler durch den Görlitzer Park und ließ sich von Fremden über die Schläuche Luft in die Plastiktüte pusten. Dank regelmäßiger Atemspenden konnte er locker fünf Minuten unter der Tüte ausharren. Und lernte nebenbei noch einiges über die Konsumgewohnheiten der Berliner. Nun weiß er, wie der Görli riecht: nach Haschisch, Kaugummi und Knoblauch.

Taguchis Performance mit dem ambivalenten englisch-deutschen Titel „Gift“ fand im vergangen April statt und kann jetzt noch einmal in der Galerie Tornado am Ostkreuz nachvollzogen werden. Neben der präparierten Plastiktüte und einigen Fotos und Zeichnungen bietet die Dokumentationsausstellung auch noch Eindrücke von einem halben Dutzend weiterer Aktionen des Künstlers, der Berlin wegen der niedrigen Lebenshaltungskosten erhalten blieb und allein 2006 mit fünf Ausstellungen in der Stadt präsent wurde.

Die Ausstellung am Ostkreuz zeigt, mit welch gnadenloser Effizienz der Japaner arbeitet: Mal hob Taguchi einfach die Auslegeware des Ausstellungsraums an, sodass sie als Baldachin über den Köpfen der Besucher hing. Mal ließ er sich mitsamt seinem Mittagessen unter einer Plastikplane vakuumverpacken. „Ich will das Gewohnte bewusstmachen“, erklärt der Künstler. Oft ist das Gewohnte die Luft, die ihn umgibt. So wie bei der Aktion, die Taguchi ebenfalls im April 2006 in der Galerie Zekuschex veranstaltete: Den Kopf in der Plastiktüte, leitete er sich mit Hilfe von zwei Blasebälgen unter seinen Füßen Frischluft zu. Bei einer Wiederaufführung während der Vernissage in der Tornado-Galerie stapfte Taguchi beängstigend kurzatmig auf den Blasebälgen herum. Für einen Moment führte er uns hier eine wahrhaft prekäre Künstlerexistenz vor Augen bzw. rief sie uns ins Bewusstsein.

Das demonstrative Ausloten physischer Grenzen ist ein beliebtes Prinzip in der Aktionskunst. Anders jedoch als Marina Abramovic und ihr Partner Ulay, die sich 1977 in ihrer Videoperformance „Breathing In/Breathing Out“ bis zur Erschöpfung wechselseitig beatmeten, interessieren Taguchi eher die zwischenmenschlichen Abhängigkeitsverhältnisse. „Gift“ etwa ist Abramovic’ Selbsterfahrungsexperiment, erweitert um eine soziale Komponente: Da die Isolation des Künstlers auf die Dauer tödlich ist, muss sich Taguchi als Preis für seine gesellschaftliche Integration eine nicht repräsentative Auswahl Berliner Mundgerüche entgegenwehen lassen.

„Nein, das ist keine Ironie“, sagt der Künstler. Er betont ausdrücklich die Ernsthaftigkeit seines gesellschaftskritischen Ansatzes. Dass der Betrachter in Taguchis tragikomischen Versuchsanordnungen dennoch einen feinen Sinn für Humor zu erkennen glaubt, muss demnach an westeuropäischen Rezeptionsgewohnheiten liegen. Indem Taguchi die Banalität des Alltags bewusstmacht, entlarvt er die komplexen Lebensentwürfe seiner Mitmenschen als eitle Selbstinszenierungsversuche.

Dem ertappten Zuschauer bleibt da nur das Lachen. Auch Taguchis schönste Arbeit, die Serie „field work: Pumpen“, basiert auf einer simplen Aktionsidee – und wirkt gerade deshalb grandios komisch. Der Künstler blies riesige Plastiksäcke auf und füllte damit „Leerstellen“ in seinem Umfeld aus: das weiße „O“ einer Kloschüssel, die Luft zwischen parkenden Autos oder den leeren Sitz in der S-Bahn. Hübsch verpackt, machte das Nichts seinen territorialen Anspruch im Stadtraum geltend. Zugegeben: Ein wenig lässt das an Rachel Whitereads Negativabgüsse von Matratzen und Treppenhäusern denken. Doch wo die Skulpturen der britischen Bildhauerin schon materialbedingt eine symbolische und dauerhafte Schwere ausstrahlen, wirken Taguchis Interventionen wunderbar flüchtig und frech. So flüchtig und frech wie der Kaugummiatem der Kreuzberger Kids.

Bis 26. 1., Galerie Tornado am Ostkreuz, Sonntagstr. 29, Mi.–Fr. 17–20 Uhr, oder telef. Vereinbarung: (0 30) 29 04 80 19