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Archiv-Artikel

„Geiz ist geil, das versteht kein Franzose“

Die Löhne in Deutschland sind zu niedrig, die Binnennachfrage ist seit Jahren gering. Das geht zu Lasten anderer EU-Länder. Denn Franzosen kaufen deutsche Autos, aber Deutsche weniger französische, so Guilleaume Duval

taz: Monsieur Duval, viele Franzosen halten die deutsche Wirtschaftspolitik für vorbildlich. Vor allem wegen des Überschusses im Außenhandel. Sie behaupten das Gegenteil. Warum?

Guilleaume Duval: Vielleicht weil ich Deutschland besser kenne. Ein Außenhandels-Überschuss bedeutet nicht automatisch, dass die Wirtschaft in einem guten Zustand ist. In Deutschland ist die Nachfrage zu gering. Und zwar nicht nur beim Konsum, sondern auch bei den Investitionen. Gleichzeitig ist die Sparquote in Deutschland gestiegen.

Sie kritisieren das deutsche Leitmotiv: Wenig ausgeben, viel sparen?

Ja, denn es ist kein gutes Zeichen, dass so lange so wenig investiert worden ist. Das gilt nicht nur für die Firmen, sondern auch in den Kommunen – in Schulen, Schwimmbädern etc. Das wird sich mittelfristig rächen. Mich wundert immer wieder, dass der Konsens darüber in der öffentlichen Debatte in Deutschland so groß ist.

In Deutschland hat ein Werbeslogan Furore gemacht, der in Frankreich undenkbar wäre: Geiz ist geil.

Ja. Die Deutschen denken, zu sparen und die Löhne zu senken wäre der einzige Weg, um die Wirtschaft zu stärken. Volkswirtschaftlich ist das ein Irrtum. Dasselbe hat schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu ganz großen Problemen in Deutschland und in Europa geführt.

Der Begriff „Working Poor“ stammt aber aus dem Englischen.

Tony Blairs Wirtschaftspolitik ist radikal anders. Die Engländer geben viel Geld für öffentliche Leistungen aus, für Schulen und Straßen. Deswegen geht es ihnen besser als uns in der Eurozone. Natürlich tun sie das vor dem Hintergrund des neoliberalen Umbaus der Wirtschaft in der Ära Thatcher. Aber britische Löhne für Industriearbeiter steigen, und sie sind höher als französische. In Deutschland hingegen sinken die Industrielöhne. Im Dienstleistungssektor sind sie extrem niedrig und gehen weiter nach unten. Die Deutschen sind dabei, ganz viele Working Poor zu schaffen.

Das Argument in der Ära Kohl für die Sparpolitik lautete: Aufbau Ost.

Es war schwer, den Osten zu renovieren, aber es war nicht zwingend, dass es deswegen dem Land schlecht geht. Die Wiedervereinigung hätte für Deutschland so etwas wie der Far West für Amerika werden können. Doch Kohl hat 1993 angefangen, die Volkswirtschaft nach unten zu drehen. Bemerkenswert ist, dass Schröder die Sparpolitik weitergemacht und verschärft hat. Obwohl es seit 2000 nicht mehr die geringsten Wettbewerbsprobleme für die deutsche Wirtschaft gab. Es ist unsinnig, mit so einem gigantischen Außensaldo weiter die Nachfrage unter Druck zu halten.

In Deutschland sind Lohnhöhen – anders als in Frankreich – keine Regierungssache. Es gibt auch keinen gesetzlich garantierten Mindestlohn.

Aber den könnte es geben. Es wird ja in Deutschland öffentlich darüber debattiert. Zweitens kann die Regierung in der einen oder der anderen Richtung Druck machen. Schröder hat mit den Unternehmern Hand in Hand gearbeitet und die Löhne unten gehalten. Außerdem gibt es die Lohnnebenkosten. Die Deutschen glauben, dass man sie unbedingt reduzieren muss.

Hat die Sparpolitik für den Standort Deutschland nicht auch Vorteile gebracht?

Das glaube ich nicht. Wenn man die Investitionen von außen betrachtet, gibt es immer noch sehr wenige, die nach Deutschland kommen. Diese Sparpolitik sorgt für immer mehr Probleme an den deutschen Universitäten, in der Grundlagenforschung, und – wie die Pisa-Studie gezeigt hat – auch an den Schulen. Wenn Deutschland nicht mehr Geld ausgibt, wird es nicht besser mit dem Standort Deutschland.

Und was bedeutet die deutsche Wirtschaftspolitik für die EU?

Die Sparpolitik hat die deutsche Wirtschaft geschrumpft. Dadurch ist das Gewicht des wiedervereinigten Deutschlands in der Ex-EU der 15 genauso klein, wie es vor der Wiedervereinigung war.

Aber Deutschland ist weiterhin die größte Volkswirtschaft in der Eurozone.

Die deutsche Wirtschaft ist immer noch groß genug, um die ganze Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone zu bestimmen. Sie hat dafür gesorgt, dass die ganze Eurozone ein schwaches Wachstum hatte, inklusive der Probleme mit Arbeitslosigkeit. Dazu kommt, dass das positive Außensaldo der deutschen Wirtschaft zu zwei Dritteln mit anderen EU-Staaten erwirtschaftet wird. Die fehlende deutsche Binnennachfrage wird in den anderen europäischen Staaten – besonders Frankreich – kompensiert. Durch die dynamische Nachfrage in den anderen Ländern geht es der deutschen Wirtschaft immer noch ziemlich gut. Aus einem europäischen Blickwinkel ist Deutschland damit ein „free rider“ auf der Wirtschaft der anderen. Die deutsche Industrie funktioniert dank der Dynamik der französischen und der spanischen Nachfrage.

Innerhalb einer zunehmend vernetzten Wirtschaft wie der europäischen ist das eigentlich kein Problem.

Das sagen Sie so einfach. Die französische Industrie – die Automobilbranche und die Textilbranche – leiden stark darunter und entlassen viele Leute. Wir haben immer deutsche Autos gekauft. Aber die Deutschen haben auch französische Autos gekauft. Das Problem ist, dass ihre Nachfrage seit einigen Jahren so klein geworden ist.

Der Zustand der französischen Wirtschaft ist eine Folge der deutschen Wirtschaftspolitik?

Wie Sie sagen: Die Ökonomien sind stark miteinander vernetzt. Dass es der französischen Industrie zurzeit schlecht geht, hat damit zu tun, dass die deutsche Nachfrage zu gering ist.

Hat die deutsche Sparpolitik auch Auswirkungen auf das politische Geschehen in Frankreich?

Die französischen Spitzenpolitiker haben die deutsche Politik nicht direkt kritisiert, und es hat daher keine deutsch-französische Krise gegeben. Aber die indirekte Folge haben wir bei dem Referendum über die europäische Verfassung gesehen. Sehr viele Leute in Frankreich glauben, dass alles, was mit Europa zu tun hat, negative Auswirkungen auf ihre Löhne und auf den Sozialstaat hat. Und dass die deutsche Wirtschaftspolitik dazu geführt hat, dass es in der Eurozone ein sehr schwaches Wachstum und nur sehr wenige neue Arbeitsplätze gibt.

Sie machen also Gerhard Schröder, der damals Kanzler in Deutschland war, für das Non in Frankreich verantwortlich?

Ganz wesentlich, ja.

Was raten Sie Angela Merkel, die jetzt für sechs Monate Ratspräsidentin der EU ist?

Wenn Frau Merkel wirklich etwas für Europa und für die europäische Integration tun will, dann sollte sie die deutsche Binnennachfrage stärken. Und das bedeutet, dafür zu sorgen, dass die Löhne steigen und die Lohnquote wieder auf ein normales Niveau kommt und dass andererseits in Deutschland mehr öffentliche Gelder für sinnvolle Zwecke ausgegeben werden. Ich glaube, dass eine solche Wende für eine CDU-geführte Regierung leichter ist als für die SPD. Das Problem ist, dass es im Augenblick nicht danach aussieht.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN