: Der Mützenstreit im Klassenzimmer
Kann eine Wollmütze noch Symbol für Unterdrückung sein? In Nordrhein-Westfalen verstricken sich Lehrerinnen und Staat in haarspalterische Auseinandersetzungen um das Kopftuch im Dienst. Für manche Pädagogin ist der Streit längst existenziell
VON HEIDE OESTREICH
Brigitte Maryam Weiß hat es alles schon hinter sich: Sie war Lehrerin ohne Kopftuch und mit Kopftuch. Sie legte das Kopftuch an der Schultür um die Schulter. Jetzt versucht sie es gerade mit dem „Grace-Kelly-Look“. Die Düsseldorfer Lehrerin hat sozusagen Routine im Kopftuch-Konflikt. Sie ist eine von mindestens 26 muslimischen Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen, denen das Tragen des Tuchs im Unterricht seit Juni 2006 endgültig verboten wurde. Zudem ist sie Funktionärin, Frauenbeauftragte des Zentralrats der Muslime, und auch dies wird dazu beitragen, dass Brigitte Maryam Weiß mit ihrem Kampf für ihr Kopftuch keineswegs am Ende ist.
Weiß war bereits Lehrerin, als sie Anfang der Neunzigerjahre konvertierte und mit dem Tuch in der Schule erschien. Der Direktor wollte das nicht, verwies auf sein „Hausrecht“. Also legte Weiß das Tuch im Klassenzimmer um die Schulter. Aber dann steckte ihr ein Jurist, dass es dieses Hausrecht so gar nicht gebe. Und das Verfassungsgericht verfügte, dass es für Kopftuchverbote erst einmal Gesetze brauche. Weiß stand von Stund an mit Tuch vor der Klasse. Nun ist das Gesetz da. Aber die Kopftücher, die sind auch noch da.
„Der juristische Weg ist keinesfalls ausgeschöpft“, so Brigitte Weiß, die als Sprecherin für die 26 Kolleginnen fungiert. Sie ist entschlossen, sich das Tuch nicht auf diese Weise verbieten zu lassen. Die zum Teil schwierigen Formulierungen des Gesetzes und der Widerstand der Frauen produzieren so manchen interessanten Austausch.
Nordrhein-Westfalen verbietet in seinem Schulgesetz ein „äußeres Verhalten“, das bei SchülerInnen oder Eltern den Eindruck erwecken könnte, dass eine Lehrerin gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung oder die Grundordnung der Republik auftrete. Nun ist bei einer Lehrerin, die seit 25 Jahren mal mit, mal ohne Tuch unterrichtet und die sich keinen Verstoß gegen die Grundordnung hat zuschulden kommen lassen, nicht so einfach einsehbar, dass sie plötzlich eine Gefahr für die Grundordnung darstellen könnte. Die Lehrerin selbst verneint diese Intention. Auf die Absicht komme es nicht an, entgegnet die Behörde, fordert sie aber immer wieder auf, ihre Gründe für das Tragen des Tuchs darzulegen. „Warum soll ich die Gründe darlegen, wenn es auf diese Gründe nicht ankommt?“, wundert sich Weiß. Es komme auf den Eindruck an, den das Tuch erweckt, heißt es dann. Aber weckt ein Grace-Kelly-Kopftuch den Eindruck, man verstoße gegen die Grundordnung? Was passiert, wenn eine christliche Lehrerin ein solches Tuch trägt?
Nicht wenige von Weiß’ Kolleginnen versuchen ebenfalls, keinen verfassungsfeindlichen Eindruck zu machen. Sie tragen neuerdings Wollmützen statt Kopftücher. Aber auch hier gibt sich das Land unerbittlich: „Zwar haben Sie das Kopftuch abgelegt. Tatsächlich aber tragen Sie eine kopftuchähnliche Kopfbedeckung aus anderem Material. Zurzeit verwenden Sie eine die Haare vollständig bedeckende Wollmütze“, heißt es in der Abmahnung einer der Betroffenen. Nun wurde die Lehrerin gefragt, ob sie die Mütze aus religiösen Gründen trage. Sie antwortete nicht. Denn auf ihre Motivation kommt es ja laut Gesetz nicht an. Später erklärte sie, mit der Mütze wolle sie lediglich dem Gefühl des „Nichtangezogenseins“ entgehen. Religiös motiviert sei diese nicht mehr. Aber das glaubt ihr die Bezirksregierung nicht, schließlich habe sie ja vorher aus religiösem Motiv ein Kopftuch getragen. Manchmal zählen die Motive der Lehrerin, obwohl diese äußerlich nicht mehr sichtbar sind. Und dann wieder ist die Motivation egal, weil nur der Eindruck zählt. Das ist schon kurios.
Aber nicht für alle. Die Bezirksregierungen, die sich zu den laufenden Verfahren im Moment nicht äußern, wollen das Problem offenkundig los sein. Für die Lehrerinnen ist der Streit oft existenziell. „Der Druck ist mörderisch“, meint Weiß, zwei Lehrerinnen seien zusammengebrochen, eine musste zwischenzeitlich in die Psychiatrie.
Die Lehrerinnen haben AnwältInnen für das vor ihnen liegende juristische Marathon engagiert. Sie empört vor allem, dass ihr Kopftuch automatisch als tendenziell verfassungsfeindlich gilt, ein Nonnenhabit aber erlaubt sein soll. An dieser Ungleichheit ist das baden-württembergische Gesetz gescheitert. Dort unterrichten Nonnen unbehelligt an einer staatlichen Schule. Eine Kopftuch-Lehrerin hatte wegen Ungleichbehandlung der Religionen geklagt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist nun eine Nonne im staatlichen Schuldienst gesichtet worden. Mit diesem Vergleich wollen die Kopftuch-Lehrerinnen nun auch ihre Häupter retten. Ein Detail allerdings verkompliziert die Angelegenheit: Die Nonne unterrichtet an einer Schule für Blinde und Sehbehinderte.