Leere Akten

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Im Fall des nach Guantánamo verschleppten Bremer Türken Murat Kurnaz hat die Opposition gestern schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben. Kurnaz wurde gestern Nachmittag erstmals selbst im Verteidigungsausschuss vernommen (siehe unten). Heute Vormittag sollen er sowie sein Verteidiger Bernhard Docke im Untersuchungsausschuss aussagen.

Im Vorfeld der Vernehmung erneuerten Grüne, FDP und Linksfraktion ihre Ankündigung, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Der Grund sei die unzureichende Bereitschaft der großen Koalition, die Mitglieder im Ausschuss mit den nötigen Informationen zu versorgen. „Immer wieder werden Aussagegenehmigungen restriktiv vergeben“, so Max Stadler, FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, gestern zur taz.

„Mir werden Akten überreicht, an die ein Zettel geheftet ist, auf dem steht, welche Seiten entnommen wurden“, beschwerte sich sein Kollege Christian Ströbele von den Grünen. „Man weiß nicht, worum es da geht, und ich bin inzwischen so weit, dass ich glaube, das sind wahrscheinlich die wichtigen Geständnisse.“

Ströbele erinnerte daran, dass die Regierung schon mehrmals Kurnaz Vorwürfe zunächst bestritten und dann peu à peu doch zugegeben hat. So habe es zunächst geheißen, zum fraglichen Zeitpunkt, im Januar 2002, seien überhaupt keine KSK-Soldaten in Afghanistan gewesen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Tübingen gegen zwei KSKler, die nicht nur dort waren, sondern offenbar auch Kontakt zu Kurnaz hatten. Dies hatten sie zunächst selbst bestätigt, später erkannte Kurnaz genau diese beiden Soldaten auf Fotos wieder. Allerdings geben die Männer an, sie hätten lediglich kurz mit Kurnaz gesprochen, während dieser von Misshandlung berichtet.

Scharfe Kritik übte die Linksfraktion gestern auch an Außenminister Walter Steinmeier (SPD) und August Hanning. Steimeier war 2002 Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder. August Hanning, heute Innenstaatssekretär, war damals Chef des Geheimdienstes (BND). Die beiden hatten Ende Oktober 2002 ein Angebot der USA abgelehnt, Kurnaz aus Guantánamo nach Deutschland zu entlassen. Hanning soll gesagt haben: Wenn schon entlassen, dann in die Türkei abschieben.

Sollte Steinmeier vor dem Ausschuss keine überzeugenden Argumente für seine Entscheidung finden, gehörten er und Hanning „aus dem Amt gejagt“, empörte sich der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, Wolfgang Nescowic, gestern. Der Außenminister wird wahrscheinlich Ende März vernommen. FDP und Grüne halten sich mit Rücktrittsforderungen noch zurück: „Wir wollen erst den Fall im Ausschuss behandeln und dann eine politische Bewertung abgeben“, so Stadler. Ströbele sprach, etwas deutlicher, von „politischer Verantwortung“, die Steinmeier übernehmen müsse.

Warum das Angebot abgelehnt wurde – das ist die härteste Nuss, die der Ausschuss zu knacken hat. Sogar die Amerikaner reagierten mit Unverständnis und Verärgerung über die Deutschen. Deren selbsternannter Friedensapostel Schröder konnte im damaligen Wahlkampf Guantánamo gar nicht laut genug kritisieren und lehnte dann aber die Freilassung eines Häftlings ab, der immerhin in Deutschland geboren und aufgewachsen ist.

Der Grund, so Vermutungen, könnte darin liegen, dass der BND kein Interesse an Kurnaz als Mittelsmann in islamistische Kreise in Deutschland hatte. Einen solchen Grund schließt Ströbele nicht aus. Eine weitere Möglichkeit könnte sein, dass die Amerikaner Bedingungen an die Freilassung knüpfen wollten. Letzteres hält zumindest der Grünen-Obmann Ströbele für unwahrscheinlich.