:
LARS PENNING
Ein filmischer Entwicklungsroman: In „Blau ist eine warme Farbe“ erlebt die 15-jährige Adèle (Adèle Exarchopoulos) die Entdeckung der eigenen Sexualität und ihre erste Liebe zu der Künstlerin Emma (Léa Seydoux). Die Reaktionen der Umwelt auf diese Beziehung spart der Film fast völlig aus, stattdessen geht es um die universell erfahrbare Intimität zweier Menschen, für die Regisseur Abdellatif Kechiche eine logische ästhetische Entsprechung findet: Drei Stunden lang nötigt er dem Zuschauer Adèles Verlangen nach Nähe in Großaufnahmen geradezu zwingend auf. Daneben betreibt der Film eine sehr genaue Studie der Milieus, aus denen die Liebenden stammen, und deren Unterschiede das Scheitern ihrer Beziehung letztlich erheblich bedingen: Emmas freizügige Boheme-Welt wird der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Adèle immer fremd bleiben. Doch der Ausbruch aus der Enge ihres Elternhauses hat sie als Mensch weitergebracht, am Ende liegt der Weg des Lebens offen vor ihr. (OmU, 13. 7. Pompeji-Freiluftkino Ostkreuz)
„Man schafft sich sein eigenes Territorium“, hat der Regisseur Robert Wise einmal über das Kino gesagt, und erzählt, dass in der Eröffnungssequenz von „West Side Story“ (1960) die Tänzer auf der West Side New Yorks hochspringen, dann aber an einem Drehort auf der East Side landen. Trotz kleiner Schummelei: ein großer Musical-Klassiker mit faszinierender Choreografie von Jerome Robbins, basierend auf „Romeo und Julia“, mit Musik von Leonard Bernstein. (OF, 11. 7. Arsenal 2)
Seit jeher hat sich Werner Herzog in seinen Filmen für Menschen interessiert, die auf sich selbst zurückgeworfen sind: abgeschnitten von der Zivilisation, allein mit ihren Ängsten und Hoffnungen, ihren Träumen und ihrem Wahn. Seine Dokumentationen handeln von Menschen, die im Urwald einen Flugzeugabsturz überlebt haben, und von durchgeknallten Tierschützern, die in der Wildnis Alaskas vom Bären gefressen wurden. Für seine Spielfilme erfand er Geschichten über verrückte Conquistadores, die auf einem Floß den Amazonas hinuntertreiben, oder wie in „Fitzcarraldo“ (1981) über einen Phantasten, der im Urwald ein Opernhaus bauen will und ein ganzes Schiff über einen Berg ziehen lässt. Natürlich alles in echt, denn Klaus Kinski in der Titelrolle ist ja schon Spezialeffekt genug. Dabei liegt die Seelenverwandtschaft von Figur und Regisseur offen zutage, geht es doch in den meisten von Herzogs Werken immer auch um die Herausforderungen, die er sich als Filmemacher selbst auferlegte: Nichts erschien zu schwer, als dass Herzog, der in seinem sympathischen Größenwahn kaum Selbstzweifel kennt, es nicht versucht hätte. (12. 7. Filmrauschpalast in der Kulturfabrik)