Sein und Versorgtsein

FAKTOREN DER DOMINANZ Vermausung und Unterordnung – eine Erwiderung auf Bascha Mikas Thesen über die Feigheit der Frauen

„Liebeslist“ nennt Bascha Mika die große Sehnsucht der meisten Frauen nach der festen Bindung an einen Mann, für die sie sich unterordnen und seine Elternschaft – zwei Monate Dienst an der Wickelkommode – verklären, um die restlichen Jahre selbst die hauptamtliche Kindererzieherin zu spielen

VON CLAUDIA PINL

Karrieren, Quoten, Kita-Plätze – wenn es um Gleichberechtigung von Frauen und Männern geht, fehlt es an vielem in Deutschland. Die Arbeit von Frauen wird schlechter bezahlt als die von Männern. Rentnerinnen droht Altersarmut. Steuergesetzgebung, Arbeits- und Sozialrecht sind nach dem Familienernährer-Modell ausgerichtet: Steuererleichterung für den Hauptverdiener, Mini- und Midijobs für die Ehefrau und deren kostenlose Mitversicherung. Diese Strukturen werden seit Jahrzehnten kritisiert. Ändern tut sich nichts. Vielleicht, weil viele, nicht nur Männer, damit gut leben können? Als Bundesfamilienministerin Schröder im Spiegel mutmaßte, die skandalöse Unterbezahlung von Frauen hänge auch damit zusammen, dass Frauen die falschen Fächer studierten, Germanistik zum Beispiel statt Elektrotechnik, erntete sie Empörung. Sich als Opfer zu begreifen ist einfacher, als sich bewusst zu machen, wie Frauen durch eigenes Verhalten an ihrer Unterdrückung mitstricken.

Die Mittäterschaft der Frauen am Patriarchat haben vor dreißig Jahren schon Frigga Haug und Christina Thürmer-Rohr angeprangert. Später waren es die Gender-Theorien, die darauf aufmerksam machten, dass (untergeordnete) Weiblichkeit und (dominante) Männlichkeit gesellschaftliche Konstrukte sind, an deren Herstellung wir alle, Männer und Frauen, ständig mitwirken. Es scheint, dass bei diesem Thema das Rad immer wieder neu erfunden werden muss.

Nun also Bascha Mika, die ihren Geschlechtsgenossinnen kollektiv „Feigheit“ vorwirft. Ihr Ruf halt derzeit quer durch die Medien. Feige, so Mika, seien Frauen, die ihre Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben verspielen, indem sie sich trotz guter Ausbildung den Ansprüchen von Mann, Kind, Familie unterwerfen. Dabei packt die frühere taz-Chefin entschlossen die Kuh bei den Hörnern und stößt mit ihrer Kritik gleich ins Zentrum des doing gender vor, der heterosexuellen Paarbildung.

Nicht nur die verkitschte Liebe, der Märchenprinz und die Märchenhochzeit, erhalten hier ihr Bascha-Bashing. Die Autorin nimmt die innere Haltung aufs Korn, die dahinterstecke: die Verklärung der Paarbindung als allein selig machende Glückserwartung. „Liebeslist“ nennt sie die Sehnsucht vieler Frauen nach der festen Bindung an einen Mann, für die sie bereit sind sich unterzuordnen, seine Karriere zu stützen, anstatt die eigene voranzutreiben – im Fall der Elternschaft seine zwei Monate Dienst an der Wickelkommode zu verklären, um die restlichen Jahre selbst hauptamtlich Kindererzieherin zu spielen. Viele Frauen, die in diese traditionelle Geschlechterrollenfalle tappen, erklären sich das oft so: Man habe unter den gegebenen Umständen die beste Entscheidung getroffen (er hat den besseren Job, sie finden keinen Krippenplatz). „Selbstbetrug“ nennt Bascha Mika solche Rechtfertigungsversuche. Sie sieht darin eine Weigerung, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.

Ihre Kritik zielt vor allem auf die Schicht junger, gut ausgebildeter Frauen mit westdeutscher Sozialisation, die vor nicht langer Zeit als „Alphamädchen“ und „Powerfrauen“ durch die Medien geisterten. Partnerwahl, Hausarbeit, Kinder, wessen Beruf hat Priorität? An diesen Wendepunkten in ihrem Leben versagen die meisten, meint Mika, allem Selbstbewusstsein der Jüngeren zum Trotz. Dies sei häufig eine Farce, „eine hübsche zeitgeistige Tünche auf einem zur Ergebenheit bereiten Klein-Mädchen-Gemüt“, das sich nichts sehnlicher wünsche als sich „in der Zweisamkeit aufzulösen wie ein nasses Brötchen“.

Dabei leugnet Mika nicht den Anpassungsdruck der Strukturen – vom Ehegattensplitting bis zur fehlenden Kinderbetreuung. Ihr Thema aber ist der Sog, den die traditionelle Weibchenrolle auf die Frauen ausübt, und deren klammheimliches Einverständnis damit. Denn „das Sein ist das Versorgtsein“ schreibt Mika, und die „Komfortzone“ bietet bis zu einem gewissen Grade jede Menge Vorteile: Die Verantwortung für das eigene Leben wird an den Mann abgegeben, das Sichbehaupten in einem Beruf an ihn delegiert, und das Aufgehen in der Mutterrolle schafft in der (west-)deutschen Mehrheitsgesellschaft immer noch Anerkennung. Später sucht sich frau dann eine Teilzeitstelle. Und der Mann eine andere, jüngere Frau. Und sie darf um ihre Unterhaltsansprüche kämpfen.

Bei der Beschreibung des oft kurzen Weges von der weiblichen Selbstbehauptung zur „Vermausung“ gelingen Bascha Mika schöne polemische Formulierungen, die zweifelsohne einige wütende Reaktionen zeitigen werden. Vor allem bei den schon Vermausten, bei den Konfliktscheuen, die in der „Abhängigkeitsfalle“ sitzen. Provokation geglückt. Später stellt sich bei der LeserIn Ermüdung ein, die simple Botschaft vom weiblichen Hang zur Selbstaufgabe wird in immer neuen Varianten vorgetragen.

Bascha Mika zitiert Psychologen und Analytikerinnen. Nach Jessica Benjamin wurzelt weibliche Unterordnung in frühkindlichen Prägungen, in der nicht vollzogenen Ablösung vom idealisierten Vater. „Wenn Mädchen und Jungs in den Kindergarten kommen, haben sie ihre Rollen schon weitgehend gefressen“, hundertfach verstärkt durch Medien- und Modelterror, rosa Prinzessinnen, Barbies und dem Konformitätsdruck gleichaltriger Jugendlicher.

Als Ausweg empfiehlt Mika die „Fröste der Freiheit“, „die Lust an Neuem“, an Veränderung, an Mut und Stärke, die sich einstellen, wenn frau erst einmal geschnallt hat, dass Eigenständigkeit nicht notwendigerweise mit Einsamkeit bezahlt werden muss. Ihr Ideal ist die Beziehung „auf Augenhöhe“, die Liebe von Gleich zu Gleich. Sie behauptet, dass Gleichheit auch der Beziehung zugutekommt. Ergebnisse von Umfragen sprechen allerdings dagegen: Demnach laufen Mann-Frau-Beziehungen stabil, solange sich beide klaglos in ihre traditionellen Rollen fügen. Mika meint, wenn Frauen erst einmal mutiger werden, würden auch Männer sich verändern. Doch Frauen, die aus der tradierten Rolle ausbrechen, setzen häufig die Beziehung aufs Spiel.

Als Leserin wünscht man sich Beispiele, wie es anders laufen kann. Vielleicht sollten sich mehr Frauen dem eigenen Geschlecht zuwenden. Lesben tragen, aus welchen Gründen auch immer, nicht lebenslang den idealisierten Vater mit sich herum. Nicht Bascha Mikas Empfehlung. Im Gegenteil. Die einzige lesbisch orientierte Frau, die in ihrem Buch vorkommt, agiert als Putz- und Wischteufel in einer gemischtgeschlechtlichen WG. Wie die Rollenverteilung in lesbischen Paarbeziehungen läuft, erfährt die Leserin nicht. Auch nicht, warum ostdeutschen Frauen sich weniger tief in der Geschlechterrollenfalle verhaspeln als ihre westdeutschen Schwestern. Oder wie es bei Paaren läuft, bei denen der Mann jünger als die Frau ist, womit ein gewichtiger Faktor für männliche Dominanz ausgeschaltet ist.

Sind Dominanz und Unterordnung konstitutiv für heterosexuelle Paarbildung? Bascha Mika meint: nein. Sie glaubt, dass auch Männer sich verändern, wenn sie erst von mutigen, unabhängigen Frauen umgeben sind. Ich meine, bis dahin sollten wir noch ein bisschen am Umbau der Strukturen arbeiten. Individualbesteuerung statt Ernährerprämie, Mindestlöhne, Sozialversicherungspflicht von der ersten Arbeitsstunde an, verpflichtende 50:50-Teilung der Elternzeit – alles das kann den zaghaften Mut der Frauen unterstützen und die Entwicklung der Spezies neuer Mann beschleunigen. Bascha Mika scheint schon jetzt ein solch seltenes Exemplar ergattert zu haben: Am Schluss des Buchs bedankt sie sich unter anderem bei ihrem Liebsten für Bestärkung und Unterstützung.

Bascha Mika: „Die Feigheit der Frauen. Rollenfallen und Geiselmentalität. Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug“. C. Bertelsmann Verlag, München 2011, 288 Seiten, 14,99 Euro