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Archiv-Artikel

Berlin bleibt die Stadt der Handballmuffel

Seit einem Jahr laufen die Vorbereitungen für das einzige Spiel der Handball-WM in Berlin. Zu merken ist davon nichts: Da die Partie längst ausverkauft ist, wird nicht für den Wettbewerb geworben. Ein schwerer Fehler, sagen Funktionäre

Es ist gewiss ein ganz besonderes Spiel heute Abend. „Die Handballwelt schaut nach Berlin“, haben die hiesigen Boulevardblätter stolz angekündigt. Mit der Partie Deutschland gegen Brasilien wird die Handballweltmeisterschaft in der Max-Schmeling-Halle um 17.30 Uhr eröffnet. Ein einmaliges Ereignis – das ist schon klar. Der Hauptstadt wurde nämlich als einziger WM-Veranstaltungsort nur ein einziges Spiel zugesprochen. Man könnte glauben, Berlin sei aus Mitleid ins WM-Boot aufgenommen worden. Denn seit Jahren wird hier bestenfalls zweitklassiger Handball geboten (siehe Kasten).

So nehmen auch viele das Lokale Organisationskomitee (LOK), das vom Berliner Handballverband geführt wird, nicht wirklich ernst. Michael Krebs, der Sprecher und Büroleiter des LOK, erzählt freimütig, er hätte schon reichlich Spott und Häme geerntet. Ein Spiel organisieren – das könne doch nicht viel Arbeit sein, lautet der allgemeine Tenor. Diese Aufgabe werde völlig unterschätzt, sagt Krebs.

Er sei bereits seit einem Jahr mit der Vorbereitung des Eröffnungsspiels beschäftigt. Anfangs hätte er acht Stunden am Tag gearbeitet; seit Ende November, dem Beginn der „heißen Phase“, wäre er kaum noch zu Hause. „Der Pförtner in der Max-Schmeling-Halle schüttelt immer den Kopf, wenn ich nachts um 2 Uhr gehe und morgens um 7 Uhr wieder hier bin“, berichtet Krebs.

Vor einem Jahr, erinnert sich der 34-Jährige, hätte man entsprechend der Anforderungskataloge des Internationalen Handballverbandes (IHF) Verträge mit dem Deutschen Handballbund aufgesetzt. Diese Kontrakte sind mehrere hundert Seiten lang. Jedes noch so kleine Detail wird darin festgelegt, um ein möglichst einheitliches Vorgehen aller Veranstaltungsorte zu gewährleisten. Beispielsweise wurde in diesen Verträgen fixiert, wie lang, breit und hoch die Tische sein dürfen, die am Spielfeldrand stehen, und wie viele Funktionäre, Zeitnehmer und Ärzte dort platziert werden sollen. Das alles muss in Einklang mit den verschiedenen Möglichkeiten der Spielorte gebracht werden. „Vielfach wurden in den ersten Monaten Beschlüsse getroffen, die wegen neuer Anforderungen bald wieder überholt waren. Auf diese Weise tastete man sich langsam an die optimalen Entscheidungen heran“, beschreibt Krebs einen Wesenszug seiner Arbeit.

Erst in den vergangenen Wochen hätten sich die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen lassen. Anfang dieser Woche wurde etwa der Boden verlegt, die Pressetribüne für die 350 Journalisten fertig gestellt und mit den Personenschutzstäben der prominenten Gäste die einzelnen Wege abgesprochen. Bundespräsident Horst Köhler wird kommen und die WM für eröffnet erklären. „Das Menschenmögliche ist getan“, sagt Krebs.

Bob Hanning, der Manager des Zweitligisten Füchse Berlin und WM-Botschafter der Stadt, ist da anderer Meinung. Er fiel vor kurzem den Organisatoren in den Rücken und beklagte die schlechte Vermarktung der WM in Berlin. Kein einziges Plakat habe er bislang in der Stadt gesehen, kritisierte er. „Warum soll ich eine schon seit einem Jahr ausverkaufte Halle mit Steuermitteln bewerben“, wendet Krebs ein. Das verstoße gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Vielen Kritikern ist diese Haltung zu hausbacken. Sie hätten sich gewünscht, dass man über die Halle hinaus denkt.

Denn drinnen sitzen ja diejenigen, die sowieso schon Anhänger dieser Sportart sind. Einige, darunter Hanning, hatten davon geträumt, dass man mit Hilfe einer großen Öffentlichkeit und beschwingt durch sportliche Erfolge des deutschen Teams dem Handball in der Stadt einen neuen Schub verleihen könnte. Doch dafür fehlen die Voraussetzungen. Ein einzelnes Spiel in der Stadt kann nicht viel bewirken – und dieses kann jenseits der Max-Schmeling-Halle nur im privaten Rahmen verfolgt werden. Große Public-Viewing-Orte wie bei der Fußball-WM findet man in Kiel, Dortmund, Köln und anderswo – nicht aber in Berlin. Die Stadt bleibt ein Handballmuffel. Die größte WM-Eröffnungs-Party findet in Eppelheim nahe Mannheim statt. Über 4.000 Zuschauer werden in der Rhein-Neckar-Halle bei der Live-Schaltung nach Berlin erwartet.

Johannes Kopp