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Archiv-Artikel

„Wir wissen, was ein Säugling braucht“

Der Münchner Kinderarzt Berthold Koletzko setzt sich für verbindliche Standards bei Säuglingsnahrung ein

taz: Herr Koletzko, Sie waren kürzlich bei einer Kommission von WHO und FAO zum Thema Säuglingsmilchnahrung und haben dort mit Nichtregierungsorganisationen und nationalen Vertretern an weltweit gültigen Standards gearbeitet. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Koletzko: Teilweise. Es ist gut und wichtig, dass ein neuer, weltweit gültiger Standard die alten Regeln aus dem Jahre 1981 ersetzt und damit die Säuglingsernährung bessere Voraussetzungen erreicht. Schade ist allerdings, dass es nicht geschafft wurde, einen Konsens auch für bindende Höchstmengen von Nährstoffen wie zum Beispiel Eisen zu erreichen.

Was könnte das für Konsequenzen haben?

Bei den großen Herstellern von Säuglingsnahrungen gehe ich davon aus, dass sie die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen und nicht mehr Eisen oder Vitamine zusetzen, als die Kinderärzte empfehlen. Dagegen könnte ein kleiner Pulvermilch-Hersteller in einem Entwicklungsland vielleicht weniger gutes Know-how haben oder aus Marketinggründen sein Produkt „aufpeppen“ wollen. Erst kürzlich sind Säuglinge in China schwer geschädigt worden, nachdem sie eine falsch zusammengesetzte Milchersatznahrung gefüttert bekommen haben.

Sie sprechen von Empfehlungen für Zusatzstoffe, gibt es keine wissenschaftlichen Grenzwerte?

Die Wissenschaft ist sich hier international weitgehend einig. Wir wissen, was in Muttermilch enthalten ist und was ein Säugling braucht. Sehr hohe Nährstoffzufuhren, die weit über das Notwendige hinausgehen und nicht sorgfältig hinsichtlich ihrer Sicherheit geprüft wurden, lehnen die kinderärztlichen Experten ab.

In Deutschland regelt die Diätverordnung, was in Pulvermilch rein darf. Wird diese von den neuen Standards tangiert?

Nein. Die Diätverordnung ist an das europäische Recht gekoppelt und erfüllt schon sehr gut die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aber für einen Großteil der Kinder auf der Welt ist der jetzige globale Kompromiss ein riesiger Fortschritt.

INTERVIEW: KATHRIN BURGER