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: Amy Tan und Hong Ying: zwei Wanderinnen zwischen der chinesischen und der amerikanischen Welt

Amy Tan, die 1952 als Tochter chinesischer Einwanderer in Kalifornien geboren wurde, gilt als eine der originellsten asiatisch-amerikanischen Autorinnen ihres Alters. Mit ihren ersten Romanen entwarf sie nicht nur präzise Dialoge zwischen Müttern aus der Einwanderergeneration und Töchtern, die in den USA geboren waren. Sie knüpfte auch an das große Thema asiatisch-amerikanischer Literatur an, das mit der Ankunft der ersten chinesischen Einwanderer Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam. Sie beschrieb ethnische Identität als dynamischen Prozess und ersann immer wieder Gespenster, die das Vergangene, starre Traditionen und alte Mythen, in die Gegenwart holten.

In ihrem neuesten, ihrem fünften Roman erinnert nur noch weniges an ihre alten Stärken. Geschildert wird die Reise einer amerikanischen Touristengruppe nach China und Birma, Erzählerin ist eine chinesischstämmige Antiquitätenhändlerin, die die Rolle der Reiseleiterin hätte übernehmen sollen, aber wenige Wochen vor dem geplanten Abflug auf mysteriöse Weise das Zeitliche segnet. Nun kann Madame Chen die Gruppe nur noch als Geist begleiten – schade, dass ihre Geschichte so lapidar bleibt. Nichts weiter hat sie zu tun, als die Rolle der allwissenden Erzählerin zu übernehmen und – zugegeben – manchmal ganz humorvoll, die dummen Amerikaner auf dem Kieker zu haben, die von einem touristischen Fettnäpfchen ins nächste kulturelle Missverständnis tapsen.

Alles in allem bleiben die zwölf mehr oder weniger sympathischen amerikanischen Bildungsreisenden so fahl, dass man als Leser oft vergeblich durchzählt und beständig zurückblättern muss, um das Personal wieder vollständig auf die Reihe zu bekommen. Man wartet vergeblich auf das, was die Bücher Amy Tans ausmacht, und als nach 265 zähen Seiten endlich etwas passiert, was das Buch aus ganz anderen Gründen aufregend machen könnte, da ist man längst zu schlapp für Schrulligkeiten wie diese. Die Verschleppung der Amerikaner in den birmanischen Urwald durch eine ethnische Minderheit, die einen der Amerikaner für die „Wiederkehr des Jüngsten weißen Bruders“ hält – sie kommt zu spät.

Ganz anders der neueste Roman der „Auslandschinesin“ Hong Ying, ihr vierter, bislang autobiografischster und bester Roman. Sie, die zehn Jahre jünger ist als Amy Tan, wanderte 1989 nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens nach England aus. Wie bei den ersten erfolgreichen Büchern sinoamerikanischer Autoren in den Sechzigerjahren ging es auch bei ihrem ersten fastpornografischen Roman „Die chinesische Geliebte“ um ostasiatische Exotik aus der Sicht und für den Geschmack des Westens. Inzwischen ist sie bei der Wirklichkeit angelangt. Ihr Roman „Tochter des großen Stromes“ handelt von ihrer Kindheit als sechstes, uneheliches und noch dazu ungeliebtes Kind einer bitterarmen Familie, die zuerst den Sprung nach vorn und die sich anschließende große Hungersnot in China kaum überlebte und dann mit der Kulturrevolution zu kämpfen hatte.

Hong Yings Buch ist brutal. Sie verlangen einem viel ab, diese Erniedrigten und Beleidigten, die ihre Kinder aus Hunger verkaufen mussten, die ihre Verwandten verhungern ließen oder später, als es politisch notwendig wurde, verrieten. Auch wenn es dieses Buch wie zu erwarten nicht wie das erste von Hong Ying weit nach oben in die Bestsellerlisten geschafft hat: Es wäre schön, wenn diese Autorin weiter schreiben würde. Vielleicht geht es in ihrem nächsten Buch ja um das Leben in zwei Welten, das Amy Tan nicht mehr einfangen mag. SUSANNE MESSMER

Amy Tan: „Der Geist der Madame Chen“. Aus dem Englischen von Elke Link. Goldmann Verlag, München 2006, 539 Seiten, 21,95 EuroHong Ying: „Tochter des großen Stromes“. Aus dem Chinesischen von Karin Hasselblatt. Aufbau Verlag, Berlin 2006, 315 Seiten, 19,90 Euro