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Archiv-Artikel

Ein Zentrum für die Letzte Hilfe

In Göttingen hat das erste Palliativzentrum Norddeutschlands den Betrieb aufgenommen. Dort sollen Mediziner, Pfleger, Physiotherapeuten, Psychologen und Seelsorger Schmerzpatienten die letzte Lebenszeit erträglich machen

Das erste Palliativzentrum Norddeutschlands wurde am Donnerstag in der Göttinger Universitätsklinik eröffnet. Es verfügt über zehn Einzelzimmer für die stationäre Betreuung schwerst- und unheilbar kranker Menschen. Außerdem werden dort Kranke und Sterbende, in den meisten Fällen sind es Krebs- und Tumorpatienten, ambulant oder in einer Tagesklinik ärztlich betreut.

Ziel sei es, das Leiden der Betroffenen zu lindern und ihre Lebensqualität soweit wie möglich zu stabilisieren oder sogar zu verbessern, sagt der Göttinger Onkologe Lorenz Trümper. Dabei sollen die Patienten nach Möglichkeit nur für einen begrenzten Zeitraum im Palliativzentrum bleiben und danach wieder in die häusliche oder ambulante Pflege entlassen werden. „Wir streben nicht an, alle Patienten in Palliativzentren oder Hospize zu verfrachten“, so der Geschäftsführer der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven.

Die Krebshilfe hat den Bau des Palliativzentrums in Göttingen mit drei Millionen Euro gefördert. Den Restbetrag von rund einer Million Euro haben das Klinikum und Spender aufgebracht. Ein Förderverein sammelt bereits seit einigen Jahren Geld mit Konzerten und „Benefiz-Wanderungen durch den Göttinger Wald“. Auf dem Marktplatz verkaufen Vereinsmitglieder Kartoffelsuppe und zwei Sorten „Stifterwein“ – drei Euro pro Flasche gehen an das Palliativzentrum.

Bereits zum vergangenen Oktober war an der Göttinger Universitätsklinik erstmals in Niedersachsen eine Stiftungsprofessur für Palliativmedizin eingerichtet worden. Sie wird ebenfalls von der Deutschen Krebshilfe für fünf Jahre mit einer halben Million Euro finanziert. Lehrstuhlinhaber ist Friedemann Nauck. Aus seiner Sicht wird der Stellenwert der Palliativmedizin immer größer, „allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung“. Die Zahl der Schwerstkranken und Krebspatienten werde weiter ansteigen.

Gegenwärtig sterben in Deutschland nach Angaben von Experten jedes Jahr rund 220.000 Menschen an Krebs, mehr als 92 Prozent von ihnen leiden in ihrer letzten Lebensphase unter erheblichen Schmerzen. Rund 3.000 töten sich aus Angst davor selbst. Die Zahl der chronisch Schmerzkranken wird auf fünf bis acht Millionen geschätzt.

Das Göttinger Zentrum ist erst die fünfte Einrichtung dieser Art in Deutschland. Weitere Palliativzentren gibt es noch in Aachen, Bonn, Köln und München. Außerdem bestehen nach Angaben der Deutschen Krebshilfe mehr als 100 Palliativstationen in Krankenhäusern sowie etwa 130 Hospize mit insgesamt 2.034 Betten.

In Niedersachsen gibt es derzeit zwölf stationäre Hospize, neun Palliativstationen in Krankenhäusern sowie sechs ambulante Palliativ- und 94 Hospizdienste. Das Land will diese Einrichtungen besser miteinander verbinden und baut deshalb ein Netz von 25 so genannten „Palliativstützpunkten“ auf. Trotz dieser Bemühungen nennt Nauck die palliativmedizinischen Strukturen in dem Bundesland „unklar“. So gebe es zum Beispiel bislang keinen Bedarfsplan für Palliativbetten.

Es reiche auch nicht, dass in Altenheimen ein oder zwei Betten schlicht zu Palliativbetten umdeklariert würden, sagt Nauck. Denn dort „gibt es nicht das Know-how, die Qualifikationen und die unterschiedlichen Berufsgruppen, die in einem Krankenhaus präsent sind“. Die Palliativmedizin sei nicht nur eine Sache von Ärzten und Pflegepersonal. Auch Psychologen, Seelsorger und Physiotherapeuten müssten eingebunden werden und sich neben den Schwerstkranken auch um deren Angehörige kümmern.

Im Göttinger Palliativzentrum soll genau das beispielhaft geschehen, versichern die beteiligten Mediziner. In das Zentrum wird auch das Modellprojekt „Support“ eingegliedert: Es entstand im Jahr 1996 auf Initiative der Ärztekammer Niedersachsen. Mobile Teams aus Ärzten, Pflegern, Krankenschwestern und Pastoren versorgen derzeit rund 50 Tumor-Patienten aus Südniedersachsen und deren Familien in ihrer häuslichen Umgebung.Reimar Paul