ORTSTERMIN: ZWANGSVERSTEIGERUNG IM BREMER AMTSGERICHT : Das Elend der Pferdezüchter
Eben hatten sie noch in Grüppchen zusammengestanden, im dämmrigen Flur des Bremer Amtsgerichts. Geraunt hatten sie und geflüstert, Gesprächsfetzen in gedeckter Stimmung: „Er hat’s vermurkst“, und: „Traurig, dies“. Jetzt sind sie in den Raum geströmt, fast nur Männer im Anzug.
An der Tür steht „Saal 108“, aber für 40 Leute wird’s schon recht eng. Einige müssen stehen. Am Tisch sitzt die Gerichtsvollzieherin. „Sie bieten heute auf einen Osterholzer Pferdezuchtbetrieb“, eröffnet sie die Zwangsversteigerung, die Stimme klingt monoton. „Zwei Einfamilienhäuser, vier Garagen, drei Ställe“, leiert sie die Kerndaten herunter, der Schätzwert beträgt eine Million. „Das Mindestgebot liegt bei 500.000 Euro. Mindestbietzeit eine halbe Stunde. Ab jetzt, 10:40 Uhr.“ Sofort strömt die Menge wieder auf den Flur.
Seit 1649 war die Anlage im Besitz derselben Familie gewesen. Anfang der 1990er-Jahre ist sie allmählich in Schieflage geraten, 2007 Insolvenz gemeldet worden, jetzt die Abwicklung – das ist Alltag in Bremen: Bei Zwangsversteigerungen hatte das Land auch 2010 wieder die Nase vorn. Fast überall gingen die Zahlen zurück, ein leichter Anstieg wurde im Saarland registriert, in Bremen aber gab’s mit 517 Objekten ein Plus von satten 46 Prozent im Vergleich zu 2009, einen Anstieg um 28 Prozent bei der Auswertung nach Terminen.
Die Grüppchen im Flur geben sich geheimnisvoll. Ein paar sind da, die sich als „Bekannte“ der Familie bezeichnen. Ein Angehöriger ist nicht gekommen. Natürlich gibt’s Gerüchte über die Gründe für die Insolvenz des Hofs, dessen Besitzer einst zu den wohlhabendsten Bauern in Bremen-Osterholz zählten. Von schweren Fehlern ist die Rede, die doch leicht hätten vermieden werden können. „Zu gutmütig“ sei der Erbe gewesen, heißt es, „falsche Freunde“ habe er gehabt, „dubiose Geschäftspartner“. Merkwürdige Bekannte. Man munkelt, die Familie ziehe jetzt in die Plattenbauten von Tenever.
Es gibt allgemeinere Hintergründe: Das Pferdezüchter-Geschäft leide insgesamt unter starkem Rückgang, hatte Dirk Simon am Telefon erklärt, Sprecher der Firma Equi-Secur. Die ist spezialisiert auf Insolvenzdienstleistungen im Pferdesport. Es gebe, so Simon, für ein- und zweijährige Pferde gar keinen Markt, für ältere nur, wenn sie ausgebildet sind. Und „das scheint für traditionelle ZüchterInnen das größte Problem“. Dafür müssten ja Pferdewirte angestellt werden. Zudem müssten „vorhandene Zuchtstuten weiter produzieren“, trotz schwacher Nachfrage. Die steh’n im Stall und kosten Geld. Im Jahr 2008 habe Equi-Secur durchschnittlich eine Insolvenz im Monat bearbeitet, hatte Simon gesagt. 2010 bereits eine pro Woche. „Und wir rechnen mit einem weiteren Anstieg.“
11:10 Uhr. Im Lautsprecher knackt’s, die monotone Stimme erinnert an den Ablauf der Frist. Gesenkten Kopfs, schweigend, ziehen die 40 Menschen ein. Nur zwei geben Gebote ab. Beginnend bei 500.000 schaukelt sich der Preis im Schneckentempo nach oben, bis der eine Bieter, diskret, in die Zuschauerreihen blickt, Augenkontakt aufnimmt zu einem älteren Herrn. Der bewegt sachte den Kopf, von rechts nach links, schlägt die Augen nieder. Auf 675.000 folgt keine neue Zahl. Die Gerichtsvollzieherin schaut auf die Uhr. Kein Hammerschlag, eine nüchterne Zeitansage, und die Feststellung, dass hiermit der über 300 Jahre alte Familienbesitz versteigert sei, für 675.000 Euro, an Herrn L. aus B. ELENA VON OHEN