Besser malen als Michelangelo und Tizian

GRECOMANIE Der „Grieche von Toledo“ wird von Konservativen zum ersten spanischen Nationalmaler stilisiert. Zum 400. Todestag von Doménikos Theotokópulos, besser bekannt unter dem Namen „El Greco“, ringen Feuilleton und Museen um die dominante Interpretation

Die „Grecomanie“ bringt nichts, wenn sie dazu dient, die Krise zu überdecken

VON SOPHIA LUDOLPH
UND MICHAEL SCHOLZ-HÄNSEL

Im Jahr 1898, als das einstige spanische Weltreich seine letzten Kolonien verlor, ermöglichte nicht zuletzt der Rückbezug auf El Greco (1541 bis 1614) einen kulturellen Neuanfang. Der Maler, der eigentlich den Namen Doménikos Theotokópulos trug und aus dem venezianischen Kreta stammte, war nach einer langen Reise durchs Mittelmeer in Toledo heimisch geworden, wo er bis zu seinem Tod 1614 lebte. Hier wurde er bekannt als eigenwilliger Maler aufwühlender religiöser Szenen in grell-intensiver Farbigkeit sowie als Porträtist.

Im Zuge seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert erhob eine ganze Generation spanischer Intellektueller und Künstler El Greco zum Inbegriff kastilischen Wesens. Heute, in seinem 400. Todesjahr und im Zeichen einer neuen Krise, die keineswegs nur den Fußball betrifft, scheint sich die Geschichte zu wiederholen: In zahlreichen Jubiläumsausstellungen, die ein umfangreiches Programm an Aktivitäten, Konzerten, Theater, Tanz und gastronomischen Veranstaltungen ergänzt, wird El Grecos Leben und Werk gewürdigt.

Eine Million Besucher werden erwartet

Bis Ende des Jahres sollen eine Million Besucher in die El-Greco-Ausstellungen nach Madrid und Toledo strömen. Das Herzstück der Hommage an El Greco bildete dabei die umfassende Sonderausstellung „Der Grieche von Toledo“ für die, infolge der derzeit vorherrschenden „Grecomanie“, die Karten schon seit Wochen ausverkauft waren. Über hundert Werke konnten im Museo de Santa Cruz (Toledo) sowie an ihren angestammten Orten in Toledo, den sogenannten Greco-Stätten, für die sie entstanden, bewundert werden; so zum Beispiel das berühmte Gemälde „Das Begräbnis des Grafen von Orgaz“ in der Kirche von Santo Tomé.

Die umfangreiche Werkschau im Museo de Santa Cruz wurde durch zahlreiche Leihgaben aus den großen Pinakotheken der Welt, insgesamt 29 Städten in elf Ländern, bereichert. Neben Werken mit religiöser Thematik, in ihrer für El Greco so charakteristischen strahlend suggestiven Bildsprache, wurde auch eine Vielzahl seiner realistisch-detailreichen Porträts gezeigt, die ihm zu Lebzeiten wohl einen Großteil seiner Einkünfte sicherten. Die Inszenierung der Ausstellung zielte darauf ab, verschiedene Bilder des Künstlers miteinander in Dialog treten zu lassen.

Laut dem Kurator Fernando Marías (Bruder des Schriftstellers Javier Marías) sollen dadurch Elemente der Kontinuität sowie Weiterentwicklungen und Vertiefungen im Oeuvre El Grecos verdeutlicht werden. Wie bereits durch den von Marías erwählten Ausstellungstitel „El Griego [nicht: El Greco] de Toledo“ suggeriert, wurde das Werk El Grecos nicht allein auf seine Zeit in Spanien reduziert. Auch seine griechischen Wurzeln sowie die Zeit in Italien fanden in der Ausstellung Beachtung. Selbst wenn El Greco 37 Lebensjahre in seiner spanischen Wahlheimat verbrachte, hier seinen eigenständigen Stil entwickelte und seine Hauptwerke schuf, blieb er doch Zeit seines Lebens Grieche. „Wir haben aus ihm einen Spanier gemacht, aber er zeichnete seine Werke auf Griechisch“, stellte Marías fest. Die Wahrnehmung El Grecos als vornehmlich spanischen Maler scheint somit obsolet und als ein Konstrukt des spanischen Nationalismus. Die spanische Tageszeitung El País titelte in ihrer abschließenden Rezension: „Deconstruyendo a Theotocópulí“ („Theotokópulos dekonstruieren“) und machte somit deutlich, dass das Bild El Grecos revidiert werden muss.

Neben Fernando Marías in Toledo zeigten dies vor allem auch José Riello und Javier Docampo, die Kuratoren der kleinen, aber inhaltlich revolutionären Ausstellung „Die Bibliothek El Grecos“ im Madrider Prado. Diese zielte darauf ab, die theoretischen und literarischen Wurzeln El Grecos mit Hilfe der Bücher, die sich in seinem Besitz befanden zu rekonstruieren und somit ein tieferes Verständnis seines malerischen Oeuvres sowie der Intention, die er mit seiner Malerei verband, zu ermöglichen.

Letztlich wollte der vermeintliche Maler einer barocken Mystik und spanischer Hidalgos vor allem eines: besser malen als Michelangelo und Tizian zusammen. Rom musste er angeblich deshalb verlassen, weil er vorgeschlagen hatte, die Malereien Michelangelos in der Sixtina abzuschlagen und neu zu malen.

Deutscher El-Greco-Kenner in Auschwitz ermordet

Dass er etwas konnte, haben 1911/12 nach Picasso auch deutsche Expressionisten erkannt, als einige seiner Werke (vor allem der „Laokoon“ als Leihgabe der Galerie Cassirer) in München und Düsseldorf gastierten. Seine durch den Kunstkritiker Julius Meier-Graefe angestachelte Rezeption durch Künstler wie Franz Marc (El Grecos Auftritt in München fiel zusammen mit der Gründungsausstellung des „Blauen Reiters“), Max Beckmann, Ludwig Meidner u. a. war bereits Thema einer Ausstellung „El Greco und die Moderne“ im Museum Kunstpalast Düsseldorf, die 2012 über 180.000 Besucher anzog und von einer Tagung begleitet wurde.

Selbst wenn El Greco 37 Jahre in Spanien verbrachte, so blieb er doch ein Grieche

Eine Neuauflage ist nun seit dem 24. Juni im Madrider Prado unter dem Titel „El Greco und die moderne Malerei“ zu erleben, die den Bogen noch weiter spannt und auch seine Verarbeitung bei Modigliani und Jackson Pollock zeigt, um nur zwei Künstler aus dem reichen internationalen Sortiment der Schau zu nennen.

1912 verhinderten die konservativen deutschen Museumsdirektoren, allen voran wahrscheinlich Wilhelm Bode auf der Berliner Museumsinsel, dass Werke El Grecos dauerhaft in deutsche Sammlungen gelangten. Immerhin konnte der junge Kunsthistoriker August L. Mayer, gefördert von Bodes Kontrahenten Hugo von Tschudi, eine Spanienforschung begründen, die bald auch auf der Iberischen Halbinsel hohes Ansehen genoss. Ein Foto zeigt ihn als Mittler beim Besuch Albert Einsteins im El-Greco-Museum in Toledo.

Doch Anfang der 1930er Jahre wurde der Deutschjude Mayer aus seinen Ämtern in der Münchner Universität und der Pinakothek gedrängt, musste ins Exil nach Frankreich gehen und starb 1944 in Auschwitz (die 2010 auf Spanisch publizierte Biografie von Teresa Posada Kubissa fand bisher keinen deutschen Verlag). Alle Versuche Mayers spanisches Erbe nach dem Zweiten Weltkrieg zu beleben, blieben erfolglos. Erst 2013 konnte in Leipzig im Fahrwasser der neuen „Grecomanie“ eine Tagung „El Greco und der Begriff der ‚Spanischen Schule‘: kritische Revision einer kunsthistorischen Kategorie“ stattfinden, zu der auch wieder Prominenz aus dem Prado und der internationalen El-Greco-Forschung anreiste.

In Spanien stellen sich andere Probleme. Hier droht die „Grecomanie“ den Konservativen als Vorwand zu dienen, um künftig die staatliche Kulturförderung herunterzufahren. Zeigt nicht der gewaltige Erfolg der weitgehend privat finanzierten Ausstellungsreihe (die Koordination liegt bei der Fundación El Greco 2014), dass auch in Spanien dem Sponsoring die Zukunft gehört, so Borja Hermoso in El País.

Das hat der revolutionäre Künstler, der um 1600 in seiner Malerei die Kunst des östlichen und westlichen Mittelmeers verband – knapp formuliert: Ikone und Perspektive – nicht verdient. Das Beispiel seines Aufstiegs vom Vergessenen in die Kategorie eines „Michelangelo“ könnte dagegen einmal mehr vor Augen führen, wie wichtig es ist, einen vermeintlichen kunstgeschichtlichen Kanon immer wieder zu hinterfragen. Damit dies in kritischer Form geschieht und er nicht nur als Vorwand für Tourismuswerbung herhalten muss (wie das in den letzten Monaten in vielen deutschen Blättern zu beobachten war), wird auch staatliches Geld weiter nötig sein. Die „Grecomanie“ bringt nichts, wenn sie unter falscher Prämisse dazu dient, die Krise zu überdecken, aber sie könnte auch zeigen, wie gewinnbringend eine Verbindung der Mittelmeerkulturen von Kreta bis Spanien und darüber hinaus wäre.

■ Museo Nacional del Prado, Madrid: „El Greco und die moderne Malerei“, bis 4. Oktober 2014

 Museo Santa Cruz, Toledo: „El Greco, Kunst und Handwerk“, 9. September bis 9. Dezember 2014