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Archiv-Artikel

„Wir sind nicht unglücklicher“

Der Anruf kam, als ich mit 20 gerade zu Hause ausgezogen war: Meine Mutter war dran. Sie hatte meinen Vater rausgeschmissen, sagte sie. Alle seine Sachen hatte sie fein säuberlich auf die Terrasse gestellt und die Schlösser auswechseln lassen. Meine Schwester war gerade erst 18 geworden. So lange hatten meine Eltern durchgehalten. Sie wollten, dass wir alt genug sind, um die Scheidung zu verkraften.

Meine Eltern haben sich immer liebevoll um meine Schwester und mich gekümmert, wir haben tolle Sachen erlebt. In Sachen Erziehung sind sie mir heute noch ein Vorbild. Nur untereinander waren sie nie zärtlich. Bei Freunden habe ich gesehen, wie deren Eltern sich geküsst oder in den Arm genommen haben. Das kannte ich von zu Hause gar nicht. Und so mit 12, 13, als ich selbst anfing, mir Gedanken über Beziehungen zu machen, war mir klar: Meine Eltern lieben sich nicht, sie passen nicht zusammen.

Die beiden kommen aus unterschiedlichen Welten. Mein Vater trifft gern Freunde zum Kartenspielen oder geht zum Fußball. Meine Mutter ist eher die Feingeistige und liebt die Oper. Sie hatten sich wenig zu sagen. Mein Vater hat meine Mutter manchmal respektlos behandelt. Damals, als Teenagerin, habe ich meiner Mutter sogar einmal gesagt, dass sie sich trennen soll, aber das wollte sie nicht. Sie ist selbst Scheidungskind, an meinem Vater fand sie immer toll, dass er aus einer „heilen“ Familie kam, und genau das wollte sie für meine Schwester und mich auch.

Die Scheidung ging dann ganz schnell. Mittlerweile, wo ich selbst verheiratet bin und Kinder habe, sehe ich, dass die Trennung eine gute Entscheidung war. In einer Ehe wie ihrer würde ich nie leben wollen.

Ich bin seit elf Jahren mit meinem Mann zusammen: Zärtlichkeit, Kommunikation, ein respektvoller Umgang miteinander kommen mir meist so frisch vor wie am Anfang. Ich glaube nicht, dass Scheidungskinder per se unglücklicher sind oder für ihr Leben geschädigt. Es ist wichtig, dass die Eltern ehrlich sind und den Kindern klar sagen, dass die Ehe nicht funktioniert und dass sie sich scheiden lassen wollen. Meine Eltern waren da nicht gleich so eindeutig. Das würde ich versuchen anders zu machen.

Das Scheidungskind dieser Geschichte ist heute 33 Jahre alt