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Archiv-Artikel

Zu kaputt für die Kaputten

Dieser Stumpfsinn, diese entsetzliche Negativität: Camping Sex, die direkten Vorläufer von Mutter, haben ihre einzige Platte wiederveröffentlicht. Zu spät für Sophia Coppola

Das hätte man dann doch nicht gedacht, aber es ist verbrieft: Camping Sex, die Berliner Band, die es zu nicht viel mehr als ein paar Samplerbeiträgen und dieser Platte hier brachte, war ein echter Einfluss für die weltberühmte Indierockfirma Sonic Youth. Für Thurston Moore, den Kopf der New Yorker Band, war der Berliner Vierer, so schrieb er damals, „ultra, ultra-, ultraexperimenteller Trash und ein großer Einfluss auf Sonic Youth“. So steht es jedenfalls in der kleinen Presseschau, die netterweise auf dem Innencover der nun wiederveröffentlichten Camping-Sex-Platte „1914!“ abgedruckt wurde.

Camping Sex, der direkte Vorläufer der großen Berliner Band Mutter, ist heute dennoch so gut wie vergessen. Mutter haben ihre Fans, wenngleich man davon ausgehen darf, dass sich die paar von ihnen untereinander persönlich kennen. Doch selbst für diese dürften die ersten Gehversuche des heutigen Mutter-Sängers Max Müller eher ein großes, nie so recht geglaubtes Gerücht sein. Auch in der Mutter-Dokumentation „Wir waren niemals hier“, die vor ein paar Monaten im Kino lief, wurde nicht so recht klar, ob Camping Sex nun eher eine komische Punkrockband war, die zu Recht vergessen wurde, oder ob da doch mehr war.

Hört man nun „1914!“ aus dem Jahr 1985, von dem Wiederveröffentlichungslabel Vinyl On Demand liebevoll auf Doppelvinyl neu herausgebracht, inklusive rarer Liveaufnahmen und allem möglichen Bonusschnickschnack, lässt sich klar und mit Thurston Moore sagen: Da war mehr. Wenngleich von „ultraexperimentell“ eigentlich nicht die Rede sein kann: Camping Sex waren eher geradeaus – ein schleppend sich fortbewegender Bulldozer.

Das, was einen später auch bei Mutter so begeisterte, dieser Stumpfsinn, die entsetzliche Negativität, der Dampframmenrock, das Genöle von Max Müller, die brutalen Texte: Das alles gab es auch schon bei Camping Sex. Die Stücke hatten Titel wie „Nichts“ oder „Schuld“ und das Gesungene dazu klang entsprechend. „Es ist alles schon gesagt“, heißt es da, oder „Es ist deine Schuld und es sind deine Lügen“. Wenn man Max Müller, dieses schlanke Männchen mit dem lieben Blick, heute seinen Kinderwagen durch Kreuzberg schieben sieht, kann man sich kaum noch vorstellen, wie der Mann damals diese Abgesänge auf die Möglichkeit eines sozialen Miteinanders formulieren konnte.

Alles in allem war das also echte Mauerstadtmusik, die die Scherben der Neuen Deutschen Welle genauso aufkehrte wie die Reste der Berliner Genialen Dilletanten. Das klang kaputt und selbstzerstörerisch, und zwar so sehr, dass es anscheinend selbst für die kaputten und selbstzerstörerischen Achtziger zu viel des Schlechten war. Eine „absolut trostlose und stumpfsinnige Platte“ sei „1914!“, heißt es in einer der abgedruckten Rezensionen. Die schließt mit der Vermutung, das sei „wohl mehr was für dunkel gekleidete Totenkopf-Freaks“.

Verkannt wird jedoch auch hier, wie der New-Order-Bass und die Powerrockgitarre bei Camping Sex eben nicht nur ganz tief in den Keller führen, sondern auch eine unglaublich lebensbejahende Energie ausströmen. Sophia Coppola, die für den Soundtrack ihres neuen Films „Marie Antoinette“ den Romantik-Aspekt von New-Wave-Punk der Achtziger in einem Kostümschinken verbrät, hätte ruhig auch auf ein Stück von Camping Sex zurückgreifen können.

ANDREAS HARTMANN

Camping Sex: „1914!“ (Vinyl On Demand), www.vinyl-on-demand.com