Ein Virus aus dem Weltraum

CUT-UP Kein Schriftsteller hat in der Popmusik so viele Spuren hinterlassen wie William S. Burroughs. Ein mysteriöses Schweizer Dub-Album macht sich daran, sie zu untersuchen

Die in Jamaica entstandene Technik des Dub ist ja eine Schwester des Cut-up

VON KLAUS WALTER

Was verbindet diese Bands? Naked Lunch, Interzone, The Soft Machine, Thin White Rope und Grant Harts Nova Mob? Alle verdanken ihren Namen den Schriften von William S. Burroughs. Und dann war da noch der Metall-Dildo, nach dem Steely Dan sich benannten.

Kaum ein Schriftsteller hat in der Popmusik so viele Spuren hinterlassen wie Burroughs, auch davon war die Rede bei den Gratulationskuren zum hundertsten Geburtstag am 5. Februar dieses Jahres. Die New Yorker Punk-Szene adoptierte den dünnen Mann mit dem erratischen Auftritt als Paten, sie platzen vor Stolz auf den Fotos mit Burroughs, Patti Smith, Thurston Moore, sogar Lou Reed. Reeds Ehefrau Laurie Anderson landet einen Hit mit einer Burroughs-Catchphrase: „Language is a virus from outer space.“

Die Idee, dass Sprache – auch musikalische – ein außerirdischer Virus sei, hat selbst ihren infektiösen Charme. Dub sei wie eine Infektion, schrieb Kevin Martin kürzlich, mit Projekten wie The Bug und King Midas Sound selbst ein Erneuerer des Dub(step). „Guter Dub reicht viel weiter als nur Musik, er steht für eine Art Weltsicht“, so Martin in der Zeitschrift Electronic Beats.

Dub sei „wie ein Kontrapunkt zu William S. Burroughs’ Cut-ups und Jean-Luc Godards Filmschnitten. Dub spiegelt, wie wir uns auf ein kaputtes Puzzle konzentrieren.“ Ohne es zu wissen, liefert Kevin Martin hier das Drehbuch für das Album „William S. Burroughs In DUB – Conducted By Dub Spencer & Trance Hill“.

Dub Spencer & Trance Hill? Die Namen verursachen Komikeralarm, jedenfalls stehen sie in keinem Roman des Beat-Autors. Hört man dann noch, dass Dub Spencer & Trance Hill aus der Schweiz kommen, ein Land, das bislang weder als Hochburg der Bassmusik auffällig wurde noch als Brutstätte für Junkie-Literatur und Queer Folks, dann stellt sich ein gewisser Widerwillen ein, die allergische Reaktion gegenüber der superoriginellen Pop-Idee: einmal kurz gegrinst – nie mehr gehört.

Das kaputte Puzzle

Der Novelty-Falle entgeht das Album „William S. Burroughs In DUB“, weil es „spiegelt, wie wir uns auf ein kaputtes Puzzle konzentrieren“. Die in Jamaika aus der kunsthistorisch gar nicht zu überschätzenden Kontingenz aus Fehler, Zufall und Ressourcenmangel entstandene Technik des Dub ist ja eine Schwester des Cut-up: Das Auseinanderschneiden findet dabei statt am Schreibtisch am Mischpult statt, die Gesangsspur wird gelöscht, der Bass wird verstärkt, mit Hall und Echo werden die losen Enden zusammengehalten, Spurenelemente des Gesangs spuken durch den Mix, die Stimme wird purer Sound.

Mit analogen Mitteln nehmen Dub-Pioniere wie King Tubby in den Siebzigern Copy-&-Paste-Techniken vorweg und unterlaufen die Hierarchiegesetze des Rock, nach denen die Stimme im Vordergrund zu stehen hat, der Sound im Hintergrund.

Auch „Burroughs IN DUB“ setzt das kaputte Puzzle mit den Methoden des Cut-up-Dub neu zusammen und dekonstruiert das Verhältnis von Vorder- zu Hintergrund – aber nicht bis zu jenem Ende, an dem die Burroughs-Stimme nur noch Sound wäre. Das ist sie auch: die unverwechselbare Burroughs-Körnung, das gebrochenen Leiern, Nuscheln, Nölen.

Aber die Burroughs-Stimme transportiert auch Burroughs-Content: Geflügelte Worte, Signatursätze ploppen an die Soundoberfläche. „Uranian Willy the Heavy Metal Kid“, krächzt der Alte und bei den Eingeweihten klickt’s: Ach ja, der Typ aus „The Soft Machine“ von 1961, den der große US-Popliterat Lester Bangs später mit der ihm eigenen Technik aus Cut-up & Brainstorm zum Namenspatron des Heavy Metal umtexten sollte.

Manchmal droht das zu kippen ins Lektüre-für-Minuten-Format. „Lektüre für Minuten“, das war in den Siebzigern eine erfolgreiche Taschenbuchreihe. Darin wurde die „gedankliche Essenz“ von Suhrkamp-Autoren in thematisch gegliederte Kapitel gepackt. Als kompakte Sammlung von Kalendersprüchen im Zeitalter der schwindenden Aufmerksamkeitsspanne wurde die „Lektüre für Minuten“-Kollektion von Herrmann Hesse zum Bestseller. Auch Hesse hat ja seine Verdienste ums Schwermetall: In „Born to be wild“ singt die nach seinem Roman benannte Band Steppenwolf vom „Heavy Metal Thunder“.

Bevor „Burroughs In DUB“ ins Erbaulich-Betuliche abdriftet, drehen Dub Spencer & Trance Hill dem Meister den Saft ab, lassen die Stimme im Bass-&-Drum-Bassin ab- und beizeiten wieder auftauchen. „Silence is a rhythm too“, wussten schon The Slits.

■ Dubspencer & Trance Hill: „William S. Burroughs in DUB“ (Echobeach/Indigo)

■ Live: 23. Juli, Tollwood, München, 26. Juli, L’abore-Festival, Hauptmannsgrün