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Archiv-Artikel

Wenn Lehrer demütigen

Nicht nur Schüler können Schülern das Klassenzimmer zur Hölle machen. Ein Fallbeispiel aus Berlin

Auch so kann Schule sein. Unterricht in einer Grundschule, zweite Stunde. Die Viertklässler büffeln Mathe. Eine Zehnjährige stellt eine Frage. Die Lehrerin antwortet nicht, sondern beginnt das Mädchen zu beschimpfen. „Du bist ja blöd! Du hast wohl Stroh im Kopf!“, schreit die Frau. Die Zehnjährige zählt zu ihren Lieblingsopfern.

Manchmal stellt die Lehrerin Kinder, die Fehler gemacht haben, vor die Klasse – damit die Mitschüler sie auslachen können. Seit August 2006 unterrichtet die Lehrkraft die Viertklässler einer Grundschule im Berliner Bezirk Frohnau. Schikane und Demütigungen im Klassenzimmer gehören seitdem zum Schulalltag. Berlins Landeselternvertreter André Schindler behauptet: „Manche Kinder haben gesundheitliche Probleme wie Bettnässen und Hautausschlag.“

Der Alltag in der Berliner Grundschule ist wahrscheinlich kein Einzelfall. Deutsche Schüler sind schlecht, sagt Pisa. Deutsche Schüler sind gewalttätig, zeigen Handy-Videos und der Alltag vieler Schulen. Die Lehrer sitzen als Vertrauenspersonen an der Quelle des Problems. Doch zwei von drei Paukern sind in ihrem Job überlastet, wie eine aktuelle Langzeitstudie der Universität Potsdam ausführt. Die Anforderungen an Lehrer werden meist unterschätzt – Burn-outs gehören zur Tagesordnung.

Lange nicht jeder wird als Pädagoge geboren. Laut der Potsdamer Studie sind über ein Drittel der Lehramtsstudenten nicht für den Lehrberuf geeignet. Manche lassen ihren Frust an den Kindern ab. „Oft können Lehrer ihre Schüler nicht mehr ermutigen, sondern grenzen sie aus“, sagt die Vorsitzende des Bundeselternrats, Antje Ziegon. Wie viele andere hält sie einen Eignungstest für Lehramtsstudenten vor dem Studium für sinnvoll.

Die pädagogische Betreuung im deutschen Schulsystem lässt zu wünschen übrig – in der Qualität wie in ihrem Umfang. Lehrer können nicht alles machen. „Wir brauchen mehr Professionen an unseren Schulen – Pädagogen, Psychologen, Schulsozialarbeiter“, sagt Antje Ziegon. Diese Forderung scheitert jedoch, keinesfalls überraschend, an den knappen öffentlichen Kassen. Bildung kostet. Doch die Anzahl verhaltensauffälliger Kinder steige ebenso schnell wie der Bedarf an sozialpädadogischer Betreuung, findet Ziegon.

Die Schule kann die Probleme der Gesellschaft nicht lösen. Sie darf sie aber auch nicht verschärfen. „Der Leistungsdruck schafft ein Schulsystem der Versager“, sagt Ziegon und beklagt die übervollen Lehrpläne. „Die Kinder haben keine Lernerfolge, sondern werden aussortiert und abgeschoben“, meint die Elternvertreterin. Lehrer und Eltern müssten sich stärker einsetzen.

In Berlin-Frohnau haben die Eltern inzwischen die Nase voll. Sie haben eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht und fordern die sofortige Suspendierung der Mathelehrerin. Das Landesschulamt begegnet dem Protest mit ungewöhnlichen Maßnahmen: Es schickte einen zweiten Pädagogen in die Frohnauer vierte Klasse. Allerdings nicht, um die individuelle Förderung der Schüler zu verbessern, sondern um der groben Lehrerin einen Aufpasser zur Seite zu stellen. Jetzt wurde der Lehrerin noch eine Frist bis zum nächsten Schulhalbjahr gewährt. Die vierte Klasse wird ihr dann weggenommen. Aber sie wird wohl auch weiterhin unterrichten dürfen. NICO POINTNER