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Archiv-Artikel

Sauber und gerecht

Das Kioto-Protokoll ist wichtig, aber es reicht bei weitem nicht, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Deshalb brauchen wir möglichst bald einen weltweiten Emissionshandel

Nur durch einen CO2-Preis werden klimafreundliche Investitionen und Geräte dauerhaft lohnend

Über eine wirksame Fortsetzung des Kioto-Prozesses nach 2012 brauchen wir eine offene Diskussion. Dazu muss zunächst eine schonungslos analysiert werden, ob mit diesem Selbstverpflichtungssystem das EU-Ziel überhaupt erreicht werden kann: eine maximale Erwärmung um 2°C weltweit.

Die Welt rast mit dem jetzigen System praktisch ungebremst auf die Klimakatastrophe zu. Auch wenn das Kioto-Protokoll grundlegend für jede weitere Klimapolitik bleibt: Die Öffentlichkeit weiß viel zu wenig über die erschreckend begrenzte Wirksamkeit dieses Protokolls. Die meisten Fachleute verdrängen diese bittere Wahrheit und träumen noch davon, die Emissionen bis 2050 zu halbieren.

Die tatsächliche Entwicklung ist nach den aktuellsten Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) fatal: Jährlich steigen die CO2-Emissionen weltweit um 500 Millionen Tonnen, 2004 und 2005 sogar jeweils um 1 Milliarde Tonne. Bis 2050 erwartet die IEA statt einer drastischen Senkung einen dramatischen Anstieg auf dann 58 Milliarden Tonnen – also fast eine Verdreifachung gegenüber 1990. Das EU-Mindestziel und die dafür notwendige Senkung um 60 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2050 ist mit Kioto völlig außer Reichweite.

Mindestens ebenso deprimierend ist es, dass dem bisherigen Selbstverpflichtungssystem strukturell die entscheidenden Voraussetzungen fehlen, um wirklich Klimaschutz zu erreichen:

1. Kioto hat kein definiertes Klimaziel. Das EU-Ziel ist nicht einmal als Ziel des Klimaverhandlungen verankert.

2. Selbstverpflichtungen einzelner Staaten werden prinzipiell immer zu niedrig ausfallen.

3. Kioto bietet keinen eingebauten Anreiz zu weitergehenden CO2- Minderungen weltweit.

4. Bei der Einhaltung ihrer Selbstverpflichtungen sind die Staaten auf zehntausende eigene Einzelgesetzes-, Verordnungs-, Anweisungs- oder Vollzugsaktivitäten angewiesen – eine geradezu absurde Staatsgläubigkeit bei den allermeisten der 200 keineswegs im Klimaschutz engagierten Staaten.

5. Es besteht keine Chance für die Einbeziehung der stark expandierenden Entwicklungs- und Schwellenländer wegen des öko-imperalistischen Grandfathering-Systems von Kioto, der extrem ungleichen pro Kopf- Emissionen und wegen des Versagens der Industrieländer zwischen. Sie halten die Minderungsverpflichtungen zwischen 1990 und 2012 nicht ein.

Wir brauchen also eine „Kyoto PLUS“-Vereinbarung, die das Kioto-Protokoll nach 2012 weiter entwickelt. Ein strukturell stark verbessertes und globalisiertes Emissionshandelssystem nach dem bereits existierenden europäischen Modell muss den weltweiten CO2-Ausstoß auf ein tolerables Maß begrenzen, also anfangs maximal 30 Milliarden Tonnen pro Jahr. Außerdem sollte das demokratische Prinzip „one man, one vote“ auf den Klimaschutz übertragen werden: „ein Mensch – ein Emissionsrecht“. Das hieße, geht man von 6 Milliarden Menschen aus, pro Kopf der Weltbevölkerung zunächst 5 Tonnen CO2.

Mit diesem Verteilungsschlüssel erhielten die Entwicklungsländer durch verkaufbare Überschusszertifikate erhebliche zusätzliche Einnahmen zu ihrer klimafreundlichen Entwicklung. Diese und die Armutsüberwindung würde mit Hilfe eines „ökosozialen Marshallplans“ gefördert.

Mit diesen Anreizen könnten Entwicklungsländer und auch Schwellenstaaten wie Indien erstmals aktiv in das weltweite Kioto-System eingebunden werden. Wenn man so die Entwicklungsländer einbindet und Emissionshandel globalisiert, kann man auch die wichtigsten US-Vorbehalte ausräumen, und die Integration der USA in das Kioto-Sysem wäre möglich.

Mit Kyoto Plus könnte die Welt vor den schlimmsten Klimagefahren bewahrt werden – zunächst würde der verhängnisvolle Trend jährlich dramatisch steigender CO2-Emissionen gebrochen. Die Atmosphärenbelastung mit CO2 erhielte einen Preis von zunächst bis zu 30 US-Dollar pro Tonne. Zugleich würde auch der Missbrauch der Atmosphäre als kostenlose Klimagas-Mülldeponie beendet.

Das Konzept ließe sich umsetzen, ohne Staaten, Industrie und Verbraucher über Gebühr zu belasten. Außerdem führte Kyoto Plus zu einem nachhaltigen, also dauerhaft sicheren, wirtschaftlichen und klimafreundlichen Energieversorgungssystem. Den erneuerbaren Energien Wind, Wasser, Sonne und Biomasse würde ohne Subventionen ebenso der globale Durchbruch gelingen wie den sauberen CO2-freien Kohlekraftwerken à la Vattenfall und RWE. Und: Weltweit würden sich das Energiesparen sowie energieeffizientere Autos, Gebäude und Geräte durchsetzen – weil sie sich mehr denn je lohnten.

Weltweit sollte im Klimaschutz ein Prinzip gelten: ein Mensch, ein Emissionsrecht

Der sensationelle Vorstoß von 24 Weltwirtschaftsführern des World Economic Forum, etwa von BP, EON, EdF (EnBW), Vattenfall, Deutsche Bank, Siemens und Volkswagen mit einem ‚urgent call‘ an den Weltwirtschaftsgipfel 2005 weist den Weg: In diesem dramatischen Appell an die Führer der G 8-Staaten fordern sie klare Höchstgrenzen für den weltweiten Klimagasausstoß und zugleich einen harten, wirksamen Klimaschutz durch „Cap and Trade“, also ein globales Emissionshandelssystem. Diese Idee hat kürzlich auch der Report des ehemaligen Chefökonoms der Weltbank Nicholas Stern aufgegriffen: „Entscheidend ist, dass ein Preis auf CO2 gesetzt wird und die Menschen klare Anreize haben“.

Diese Forderungen werden mit Kyoto Plus in reale Klimaschutz-Politik umgesetzt. Die Weltwirtschaftsführer können so beim Wort genommen werden, denn sie verstehen nun wirklich etwas von wirtschaftlichem Verhalten und deshalb wissen sie ganz genau und sagen es ganz explizit: Nur durch einen CO2-Preis werden ihre und alle anderen klimafreundlichen Investitionen, Techniken, Verhaltensweisen und Geräte weltweit dauerhaft lohnend.

Die Bundesregierung ist gerade während der kommenden deutschen EU- und G 8-Präsidentschaft 2007 gefordert, diese klimapolitische Vorlage der Wirtschaft aufzunehmen und die derzeit wirkungslose Weltklimapolitik in ein tatsächlich wirksames Weltklimaschutzsystem zu verwandeln. Auch der Deutsche Bundestag drängt sie mit der Entschließung vom 9.11.2006 sehr deutlich in diese Richtung

Denn: Mit dem skizzierten oder einem ähnlichen globalen Cap and Trade á la Kyoto Plus wäre in der Tat die Klimawende noch machbar und damit die Klimakatastrophe ohne gravierende wirtschaftliche Probleme noch zu verhindern. Gleichgültig wie ein globales, wirklich wirksames Emissionshandelssystem am Ende auch immer aussehen mag. Die deutsche Vorreiterrolle muss allerdings zwingend ergänzt werden um die vorbildliche Erledigung der klimapolitischen Herausforderungen in Deutschland. Erst daraus ergibt sich ein in sich konsistentes und glaubwürdiges System einer engagierten deutschen Klimadoppelstrategie. LUTZ WICKE