: Guineas Krise stört Westafrikas Aufbau
Im vom Bergbau geprägten Guinea sind die Gewerkschaften zur Speerspitze der Opposition gegen den autoritären Präsidenten Conté geworden. Jetzt herrscht Gewalt, und das gefährdet geplante Milliardeninvestitionen in Westafrikas instabilster Region
VON DOMINIC JOHNSON
Das blutige Vorgehen der Staatsmacht in Guinea gegen friedliche Demonstranten hat die Krise des Regimes von Präsident Lansana Conté weiter verschärft. An eine friedliche Reform des Herrschaftssystems Conté, der seit 1984 regiert und mehrfach Wahlen manipuliert hat, glaubt Guineas Opposition nicht mehr. Sie verlangt eine neue Regierung – egal wie. Vom parlamentarischen Weg hat sie sich längst verabschiedet.
Guinea ist ethnisch und kulturell äußerst heterogen, und die Parteien des Landes haben nie aus ihrer regionalen Verankerung herausgefunden. Die einzigen politischen Kräfte in Guinea mit nationaler Ausstrahlung sind die Gewerkschaften und das Militär. Guineas Armee fühlt sich von Präsident Conté vernachlässigt und wird regelmäßig von Oppositionspolitikern als möglicher Vollstrecker eines Putsches zur Vorbereitung einer Demokratisierung ins Gespräch gebracht – so wie 2005 in Mauretanien oder 1991 in Mali.
Die starke Rolle der Gewerkschaften erklärt sich aus der industriellen Prägung Guineas, das ab der Unabhängigkeit 1958 im Bündnis mit der Sowjetunion den Weg der staatlich gelenkten Industrialisierung durch Rohstoffextraktion verfolgte. Guinea ist heute der weltgrößte Exporteur des Aluminiumerzes Bauxit, mit Ausfuhren von einer Million Tonnen im Monat, und hält gigantische Reserven auch an Eisenerz, Gold und Diamanten. Die Arbeiterschaft im Bergbau wurde lange als gesellschaftliche Avantgarde gehätschelt und fühlt sich heute vernachlässigt – der einstige staatliche Monopolist CBG (Compagnie des Bauxites de Guinée) wurde durch Misswirtschaft in den Ruin getrieben, und die heutige 51-prozentige Mehrheitseignerin Halco, ein US-kanadisches Aluminiumkonsortium, nimmt weniger soziale Aufgaben wahr.
Der seit 10. Januar laufende Generalstreik ist der dritte in einem Jahr. Er nahm seinen Ausgang in Protesten in der Bergbaustadt Kamsar Ende Dezember. Sein unmittelbarer Auslöser war aber die von Präsident Conté zu Jahresbeginn dekretierte Wiedereinsetzung des kurz zuvor wegen Korruption abgesetzten und inhaftierten Arbeitgeberchefs Mamadou Sylla, der reichste Mann Guineas. „Die Justiz bin ich“, hatte Conté erklärt.
Seitdem ist undenkbar, dass die für Juni angesetzten Parlamentswahlen korrekt stattfinden können, solange Conté regiert. Von ihrer Durchführung hängt ab, ob die EU ihre im Dezember verkündete Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe für Guinea komplett umsetzt – es geht um 117 Millionen Euro, bei einem Bruttosozialprodukt von 3 Milliarden Euro viel Geld.
Eine Initiative von außen zum Regimewechsel in Guinea mag niemand starten. Dafür ist Conté in Westafrika zu mächtig und stand international meist auf der richtigen Seite. Von Guinea aus operierten die Rebellen, die 2003 Liberias Präsidenten Charles Taylor stürzten. Zuvor half Guinea bei der Zerschlagung der Taylor-unterstützten Rebellen in Sierra Leone. Conté ist dadurch in den Genuss von US-Militärhilfe gekommen.
Politisch somit in günstiges Licht getaucht, ist Guinea attraktiv für Großinvestoren geworden. Mit rund fünf Milliarden Dollar sind die geplanten Investitionsprojekte für Bauxit- und Eisenerzförderung in den Nimba-Bergen im Grenzgebiet von Guinea und Liberia größer als die gesamte bisherige Volkswirtschaft Guineas. Die US-Firma Global Alumina baut im Bauxitrevier von Sangaredi für zwei Milliarden Dollar eine Aluminiumschmelze. Der britische Bergbaumulti Rio Tinto erwarb im Juni 2006 die Eisenerzkonzession von Simandou, wo zwei Milliarden Tonnen hochwertiges Eisenerz vermutet werden.
Eine neue Eisenbahnlinie quer durch Guinea soll den Rohstoff in Exporthäfen bringen. Hunderte Unternehmer besuchten letztes Jahr ein Guinea-Wirtschaftsforum in Düsseldorf, wo Guineas Regierung diese und weitere Großprojekte vorstellte. Auf der liberianischen Seite der Nimba-Berge hat der weltgrößte Stahlproduzent Mittal Steel die Eisenerzförderrechte erworben.
Von diesen Großprojekten erhofft sich Westafrika einen Aufschwung in seiner ärmsten Region. Realisiert werden können sie aber nur bei Stabilität. Die liefert das Conté-Regime nicht mehr. Im Südosten Guineas werden sogar Flüchtlingsbewegungen gemeldet, und auf den Weltmärkten schossen gestern die Aluminiumpreise in die Höhe. Denn zum ersten Mal legen Guineas Streikende seit dieser Woche auch die Bauxitminen und Häfen lahm – und treffen damit die Lebensader des Landes.