: Pläne für ein unterirdisches Berlin
AUSSTELLUNG Die auf Architekturzeichnung spezialisierte Tchoban Foundation zeigt Arbeiten des US-Amerikaners Lebbeus Woods. Sie feiern das Narrative, Fantastische und Spielerische der Architektur
VON RONALD BERG
Im Jahr 1988 entwickelte der amerikanische Architekt Lebbeus Woods (1940–2012) seine Vision für ein „Unterirdisches Berlin“. Inspiriert hatten ihn offenbar die Geisterbahnhöfe der U-Bahn unter dem Ostteil der Stadt, durch die Züge der westlichen Verkehrsbetriebe ohne Halt hindurchfuhren. Ausgehend von den U-Bahn-Tunneln wollte Woods buchstäblich eine suburbane Struktur entwickeln mit Galerien, Ausstellungs-, Versammlungs- und Sporthallen, wo sich die Menschen aus beiden Teilen der Stadt treffen würden. Das Leben in der unterirdischen Stadt sollte dann zur Bildung einer ‚Untergrundregierung‘ führen, woraus schließlich eine Wiedervereinigung der Stadthälften erwachsen würde. Und zwar dann, wenn die unterirdischen Strukturen sich ihren Weg ans Tageslicht brechen würden. Auch das kann man wörtlich nehmen. Woods hat seine Visionen nämlich anschaulich aufgezeichnet. „Underground Berlin“ sieht bei ihm aus, als wäre es einem Science-Fiction-Film entsprungen. Riesige technoide Gebilde in atemberaubenden Perspektiven sind da zu sehen und seltsam beleuchtete Räume, die es an Dramatik mühelos mit den berühmten Kerkerszenen eines Piranesi aufnehmen könnten. Es gibt bei „Underground Berlin“ Szenen, wo maschinenähnliche Gebilde aus der Erde brechen geradewegs zwischen Plattenbauten und Fernsehturm. Die metallenen Architekturformen erinnern dabei an später entstandene dekonstruktivistische Bauten à la Coop Himmelb(l)au. Wahrscheinlich nicht von ungefähr. Übrigens ist auch Zaha Hadid ein Fan von Lebbeus Woods.
Auch Terry Gilliam klaute
Bei der Fantastik der Zeichnungen wundert es nicht, dass Woods tatsächlich als Designer für Science-Fiction-Filme fungierte. „Alien 3“ wurde dann aber doch von einem anderen Team realisiert. Auch Terry Gilliams Film „12 Monkeys“ bedient sich augenscheinlich bei den Zeichnungen von Lebbeus Woods, ohne allerdings den eigentlichen Schöpfer gefragt zu haben. Den Prozess gewann Woods, der so großzügig war, die Verbreitung des Films zu erlauben, wofür ihm eine sechsstellige Summe als Entschädigung zufiel.
Warum Lebbeus Woods (nicht nur) Science-Fiction-Filmer fasziniert haben könnte, kann man jetzt in der Tchoban Foundation erforschen. Das seit gut einem Jahr existierende, auf Architekturzeichnung spezialisierte Museum in Prenzlauer Berg zeigt jetzt eine Auswahl von knapp 50 Zeichnungen von Woods.
Woods war Zeichner, Architekturtheoretiker und Hochschullehrer (u. a. in New York, Harvard, London, Wien und L. A.). Aber war er wirklich auch Architekt? Tatsächlich gebaut wurde von seinen Visionen nichts. Das einzig realisierte Projekt von Woods ist eine Art Kunst-am-Bau, die eine ausgesparte Lücke in einem von Architekt Steven Holl entworfenen Hochhausblock in China ausfüllt. Woods konterkariert mit seinem „Light Pavilion“ die Rasterfassade durch ein wildes Getümmel von illuminierten Stäben.
Vielleicht könnte man hier auch von Linien sprechen, die sich eben ein einziges Mal ins Dreidimensionale materialisiert haben. Die von Freund und Partner Christoph A. Kumpusch ausgesuchte Auswahl in der Tchoban Foundation ordnet Woods’ zeichnerisches Werk just nach der jeweiligen Gestalt der Linien: „geschmeidig“, „abgehackt“, „verflochten“, „gebrochen“ und „unsichtbar“.
Woods war ohne Zweifel ein virtuoser Techniker, was das Medium der Zeichnung angeht. Aber nicht nur sein künstlerisches Handwerk macht Woods zu einer Ausnahmeerscheinung unter den Architekten. Vielmehr ist es seine Einbildungskraft, die in der Lage ist, verschiedene „Parakosmen“ zu imaginieren.
Woods’ Zeichnungen wirken daher oft wie Ansichten aus Sci-Fi-Filmen. Sie verwenden Motive ähnlich wie die Romane eines Jules Verne, worin Bekanntes und Fantastisches sich vermengen.
Mischt Zeiten und Räume
Woods, der sich selbst nie anders denn als Architekt begriff, gibt der Architektur das zurück, was die Moderne ihr ausgetrieben hatte: das Narrative, das Fantastische, das Spielerische. Mit DIN-Normen, funktionalen Grundrissen und all den praktischen Erfordernissen, die Architekten sonst berücksichtigen müssen, gibt sich Woods nicht ab. Seine gezeichnete Architektur mischt Zeiten und Räume und braucht selbst auf Gravitation keine Rücksicht zu nehmen.
Die Bedürfnisse, denen Woods’ Architektur nachstellt, sind psychischer Natur. Es ist der Appell an die im kollektiven Unbewussten gespeicherten Mythen. So findet sich unter den Blättern bei Tchoban etwa eines, was jeden Amerikaner an die mythische Landschaft des Monument Valleys aus den Western von Regisseur John Ford erinnern wird. Die turmartigen Felsen sind bei Woods zu einer gebauten Architektur mutiert und beerben mit ihrer technoiden Gestalt den alten Mythos von der Eroberung der Wildnis durch die Zivilisation. Architektur ist für Woods nicht nur gebauter Raum, sondern Mittel zum Übergang in geistige Sphären.
■ Tchoban Foundation, Christinenstr. 18 a (Pfefferberg), Mo. bis Fr. 14 –19 Uhr, Sa. und So. 13–17 Uhr. Bis 3. Oktober