: Strenge ist das Gebot der Stunde
RADIKALER GLANZ Die gegenwärtigen weltpolitisch turbulenten Umstände tun dem Forum Expanded gut. Die Experiment-Sektion der Berlinale wirkt frisch
Das Forum Expanded wirkt dieses Jahr so frisch und munter wie lange nicht. Obwohl man in der auf Avantgarde und Experiment spezialisierten Sektion des Forums jede Menge alte Bekannte trifft. James Benning zum Beispiel, von dem man bestimmt keine Überraschungen mehr erwartet. Oder Guy Maddin im Marshall-McLuhan-Salon der kanadischen Botschaft, der mit seinen exquisiten expressionistischen Stummfilmadaptionen ein doch sehr persönliches hobby horse zu reiten scheint.
Woran also liegt es? An den weltpolitisch turbulenten Zeitumständen der diesjährigen Berlinale, die dem Anliegen vieler Filmemacher erst zur rechten Kenntlichkeit verhelfen. Das muss ihnen nicht notwendigerweise zur Ehre gereichen, wie „Das schlafende Mädchen“, Rainer Kirbergs ärgerliche Boy-meets-girl-Geschichte zeigt. Im Kunstmilieu der Düsseldorfer Akademie zu Zeiten von Beuys angesiedelt, recycelt er noch einmal die hinlänglich bekannte, fade ideologische Konstruktion vom Meister und seiner Muse.
In den 70er Jahren könnte das gerade noch durchgehen, scheint Kirberg zu spekulieren, was Lynn Hershmans Dokumentation „W.A.R. – Women Art Revolution“ im Panorama zweifelsfrei widerlegt. Ähnliches wäre deutlich geworden, hätten Beuys und die Düsseldorfer Akademie in Kirbergs Film auch nur irgendeine Rolle über das von Clipmaterial hinaus gespielt. Der kunst- und medienreflexive Ansatz des Films muss nachgerade im Kunstgewerblichen und Puppenspieltheater verenden.
Neuerlich radikalen Glanz erhalten jetzt dagegen Barbara Hammers 70er-Jahre-Experimente mit der filmischen Repräsentationen eines neuen lesbischen Selbstbewusstseins, die in der Galerie Koch, Oberhuber & Wolff zu sehen sind. Und auf dem Forum Expanded zeigen gerade ihre Halbstundenfilme „Maya Deren’s Sink“ (2011) und „Generations“ (2010, gemeinsam mit der Filmemacherin Gina Carducci), wie aktuell der Blick zurück, auf frühe Konzepte des experimentellen und des abstrakten Films, sein kann.
Herausgeschälte Bilder
Auch Mohammadreza Farzad geht altem Filmmaterial konkret auf den Grund. Denn nur so kann er überhaupt deutbare Bilder aus dem Amateurmaterial schälen, das am 8. September 1979 in Teheran entstand, als Soldaten des Schahs ihre Gewehre auf die Teilnehmer einer verbotenen Demonstration wie auch gewöhnliche Passanten anlegten. Das Massaker ist bis heute unaufgeklärt und von Interpretationen überwuchert, aber Farzad interessieren diese Spekulationen nicht. Er fragt sich, wer die Menschen sind, die er durch wiederholte Slow-Motion und Zooms ins Bild hinein isolieren kann. Was wäre aus ihnen geworden, lebten sie noch? Was machen die, die vielleicht doch davonkamen, heute? War vielleicht die alte Dame, die ihm auf der Straße entgegenkommt, unter den damaligen Demonstranten?
Durch diesen besonderen Blickwinkel auf das damalige Ereignis ist er mit seinem 26-Minuten-Film verblüffend nah an den Bildern, die wir jetzt von den Demonstrationen in Tunesien, Ägypten oder Bahrain sehen, von verwegenen, weil restlos frustrierten und damit endlich politisierten Bürgern der arabischen Welt. Und diese Nähe bestätigt die politische Botschaft, die seine Recherche antreibt: Es ist das Volk, das die Revolution macht. (Und es sind die Funktionäre, die neuen wie die alten, die sie dann kaputtmachen, darf man sich dazu denken.)
Sein Film gehört in die Reihe „Geographies of the Other Power“, in der René Frölks Dokumentation „Führung“ ein Politdrama vollkommen anderer, dennoch brisanter Art und Weise festhält. Der Student am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (in der Dokumentarfilmklasse von Thomas Heise) beobachtete ganz nah, dabei diskret und konzentriert einen Staatsakt der besonders komischen Art, als Bundespräsident Horst Köhler im Jahr 2008 die Hochschule besuchte. Damals beherrschte die Finanzkrise jedes Gespräch, und da mit Köhler ja ein Bankfachmann zur Verfügung stand, ließen sich die Herren des ZKM, Peter Weibel und Peter Sloterdijk, die Chance nicht entgehen, kräftig auf die Pauke zu hauen, mit steilen Thesen zur Virtualität von Kunst und Geld, die – obwohl allein auf den ironischen, nicht den erkenntniskritischen Effekt getrimmt – Köhler restlos überforderten. Und weil man sich auch über Realität der sogenannten Realwirtschaft nicht wirklich klar wird, hilft den dreien am Ende nur noch der Rückzug auf das Handwerk aus der Patsche. Ein typischer Weibel bleibt hängen: Der Duchamp’sche Nominalismus, Kunst sei, was Kunst genannt werde, gelte längst nicht mehr.
Er könnte recht haben, schaut man sich auf den Ausstellungsplattformen des Forum Expanded um. Die „Parallel Worlds“ des Salon Populaire in den Sophiensælen etwa bauen auf die Solidität ihres (gerne dokumentarischen, datierbaren) Materials und verzichten weitgehend auf die losen, lockeren Enden, in die schnell mal flüchtet, wer seiner Sache nicht ganz Herr wird. Und so argumentiert Wendelien van Oldenborgh, die für ihre Installation „Pertinho de Alphaville“ brasilianische Textilarbeiterinnen befragt hat, nicht weniger zwingend als Yael Bartana, die für ihre Installation „Entartete Kunst lebt“ Otto Dix’ Kriegskrüppel in Massen aufmarschieren lässt. Tatsächlich ist eine gewisse Strenge das Gebot der Stunde. Santiago Sierra dokumentiert, ohne abzuschweifen, über zwei Stunden die Reise seines „NO“ rund um die Welt. Das ist alles andere als expanded.
Ansonsten folgt das Forum Expanded aber seinem Auftrag, mit Diskussionen im Hamburger Bahnhof, Radiobeiträgen (nachzuhören im Deutschlandradio Kultur) und dem Abschlusskonzert von Genesis Breyer P-Orridge, Tony Conrad und Morrison Edley morgen um 22 Uhr im HAU 2.
BRIGITTE WERNEBURG