: „Raubgrabungen gibt es immer noch“
„Der Fluch des Goldes“ heißt eine Ausstellung im Hamburger Museum für Völkerkunde, die Schmuck, Masken und Vasen der Inka zeigt. Der Titel ist hoch aktuell. Denn die Exponate, die ein privater Sammler zusammentrug, stammen aus illegalen Grabungen, die in Peru auch heute noch ein Problem sind
VON PETRA SCHELLEN
taz: Frau Schmitz, wer war der Sammler der jetzt präsentierten Exponate?
Claudia Schmitz: Gesammelt hat die Familie Muchika, eine der führenden Familien in Peru, die dort große Ländereien besaß. Der Vater der jetzigen Besitzer hat diese Sammlung über viele Jahre zusammengetragen.
Wie haben sich Sammler wie er Inka-Gold beschafft?
Sie haben es aufgekauft. Das heißt, sie haben es angeboten bekommen von Leuten, die in Peru raubgegraben haben. Das ist auch daran ablesbar, dass man keine Informationen zu den Objekten hat. Keins dieser Exponate ist aus einer archäologischen Grabung hervorgegangen.
Muss man dann nicht von Raubkunst sprechen?
Nun, die Muchika-Sammlung ist ja vom peruanischen Staat anerkannt worden. Da können wir im Nachhinein nicht rechten. Ich als Archäologin halte solche Dinge für bedenklich. Wobei man sagen muss, dass alle altamerikanistischen Sammlungen in Europa und Amerika so entstanden sind. Die Sammlungen stammen teils noch aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damals haben Europäer, die in Peru lebten und gut situiert waren, angefangen, diese Kunst zu sammeln. Teilweise haben sie sogar Leute beschäftigt, die in ihrem Auftrag irgendwo gegraben haben.
Illegal?
Das war damals noch nicht so streng geregelt.
Heute wäre es aber illegal.
Allerdings. Raubgrabungen gibt es zwar immer noch in großem Umfang, aber sie stehen unter schweren Strafen.
Seit wann?
Erste Gesetzgebungen zur Sicherung dieser Bestände gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Regelungen wurden dann sukzessive erweitert. Spätestens seit den 50er Jahren sind Raubgrabungen in Peru streng verboten. Seit jüngerer Zeit ist jegliche Ausfuhr verboten. Aber das wird kaum kontrolliert. Die wirklich großen Kunstwerke gelangen allerdings oft im Diplomatengepäck außer Landes.
Sie sagten, Raubgrabungen fänden immer noch statt. Wie viel Prozent der archäologischen Bestände Perus sind so schon verloren gegangen?
Für Peru speziell kann ich es nicht sagen, aber Statistiken zeigen, dass weltweit rund 80 bis 90 Prozent aller archäologischen Stätten bereits Besuch von Raubgräbern hatten. In Peru stark betroffen sind die leichter zugänglichen Standorte an der Küste.
Und niemand kontrolliert?
Die Behörden haben nicht genug Personal. Viele Anlagen sind auch schwer erreichbar.
Und das Unrechtsbewusstsein der Grabräuber?
Denen mache ich keinen Vorwurf. Diese Menschen plündern oft aus purer Not. Und das, obwohl sie teils noch glauben, dass die alten Stätten gefährlich sind. Sie glauben, dass der Tote im Grab belebt ist und den Räuber krank machen kann.
Dies hindert sie nicht am Graben?
Nein. Sie suchen das Risiko aber zu mildern, indem sie Schutzrituale durchführen. Mit Orakeln wird die Stätte erfragt, an der man gefahrlos graben kann. Aber diese Leute täten das nicht, wenn es keinen Markt gäbe.
Auf die westliche Ausstellungspraxis übertragen heißt das, dass sie auf illegalen Praktiken beruht.
Heute würde kein Museum, das auf sich hält, Objekte ungesicherter Herkunft ankaufen. Da müsste der Sammler nachweisen, dass sie ins Land kamen, bevor die peruanischen Schutzgesetze in Kraft traten. Gerade in Europa, auch in Deutschland, gibt es sehr lange Sammlertraditionen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Und damals existieren die Schutzgesetze ja noch nicht.
Der Hamburger Katalog enthält keine Datierungen. Ein Indiz der nicht-archäologischen Herkunft der Exponate?
Ja. Zumal man Gold nicht datieren kann.
Kann man also sagen, dass dieser Ausverkauf kulturellen Erbes letztlich die koloniale Ausbeutung wiederholt?
Ja. Daher auch der Ausstellungstitel „Fluch des Goldes“.
Ist eine Ausstellung wie diese, die glänzende, undatierte Einzelstücke vorführt, dann aber nicht oberflächlich und Ausdruck eben dieses fortgesetzten Kolonialismus?
Was den Zugang über das Gold betrifft, setzt die Schau zwar auf Klischees. Ziel ist es aber, Respekt zu wecken.
Wie soll da – abgesehen vom Staunen über das pure Gold – Respekt entstehen?
Dadurch, dass man sich wundert: Warum sind es nur Einzelstücke, warum sind sie undatiert? Wer hier nachfragt, gelangt automatisch zur Sammlungsgeschichte.
So gelesen, zeugt eine solche Ausstellung aber eher vom Mangel an Respekt seitens der europäischen Kultur.
Das stimmt.
Was bedeutete Gold für die Inkas eigentlich konkret?
Es war von göttlichen Kräften beseelt.
Weil es so schön glitzert?
Nein, weil es aus der Erde kommt. In der Erde leben die Berggottheiten. Sie sind die Hüter der Schätze, die sie den Menschen übergeben. Die göttlichen Kräfte wirken durch das Metall. Deshalb können nur die Menschen Gold benutzen, die ihre Herkunft auf die Götter zurückführen. Die politischen und sozialen Eliten etwa. „Normale“ Menschen halten die Kräfte des Metalls nicht aus und werden krank. So die Idee.
Und die Eliten?
Sie nutzten Gold für rituelle Zwecke und als Statussymbol. Herrscher schmückten sich damit, um ihre Macht zu zeigen.
Für den Alltag hatte Gold also keine Bedeutung.
Nein. Daher stimmt auch die These nicht, dass der letzte Inkaherrscher Atahualpa den spanischen Eroberern Lösegeld für sein Leben angeboten habe. Aus dem inkaischen Verständnis heraus konnte Gold kein Lösegeld sein. Erstens gab es bei den Inkas keinen Handel, also konnte man auch nicht um sein Leben handeln. Zweitens galt das Prinzip der Gegenseitigkeit. Indem Atahualpa den Spaniern Gold anbot, machte er ihnen also ein Geschenk, von dem er wusste, dass sie es haben wollten. Im Gegenzug mussten sie dann aber auch etwas für ihn tun.
So dachte er jedenfalls.
Ja. Aber die Spanier haben dieses System nicht kapiert.
Die Ausstellung ist bis 24. 6. zu sehen