: „Das Regime spürt, dass es auf wackeligen Beinen steht“
Der syrische Rechtsanwalt Khalil Maatuk, Hauptverteidiger in den aktuellen Verfahren, über die Ängste der Machthaber und die Sorgen der Opposition
taz: Welche politischen Gründe sehen Sie hinter den Verhaftungen des vergangenen Jahres?
Khalil Maatuk: Jedes undemokratische, autoritäre Regime hat Angst. Obwohl die meisten syrischen Oppositionellen sehr gemäßigt sind. Sie fordern keinen Sturz des Regimes. Sie wollen schrittweise Reformen von innen, mit demokratischen und friedlichen Mitteln, und lehnen jede Einmischung von außen ab.
Wovor fürchtet sich das Regime dann?
Es spürt, dass es auf wackeligen Beinen steht. Die Basis dieses Staats ist uralt und braucht dringend Erneuerung. Deshalb haben die Machthaber Angst vor der geringsten Bewegung. Sie halten Menschenrechtsaktivisten für gefährlicher als jede Partei. Sie denken, wenn wir den Oppositionellen jetzt freien Lauf lassen, dann haben wir nach einer Woche 5.000 und nach zwei Wochen 10.000 davon.
Mit Verhaftungen und Geheimdienstüberwachung hat die Regierung ihre Kritiker im vergangenen Jahr weitgehend zum Schweigen gebracht.
Ja, die Opposition ist sehr schwach. Es gibt zwar interne Entwicklungen, aber auf der Straße passiert nichts, es finden keine Aktionen statt. Selbst die verschiedenen Menschenrechtsgruppen machen derzeit nichts anderes als Presseerklärungen herausgeben. Gegen Übergriffe der Sicherheitskräfte können sie nichts unternehmen. Denn für jeden Anlass liegt die Anklage schon bereit. Da die Menschenrechtsgruppen ohne offizielle Genehmigung arbeiten, kann jeder, der sich dort engagiert, der Mitgliedschaft in einer Geheimorganisation oder Mitarbeit in einem nichtgenehmigten Verein beschuldigt werden. Dafür geht man sofort ins Gefängnis. Jede Nacht lege ich meine Kleidung neben das Bett für den Fall, dass sie kommen und mich holen.
Was hat sich bei den Gerichtsprozessen im Laufe der letzten Jahre verändert?
Vieles hat sich verbessert. Früher kamen alle politischen Gefangenen vor das Staatssicherheitsgericht, da fanden die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Inzwischen dürfen Angehörige am Ende des Prozesstages kurz ins Gebäude und die Inhaftierten begrüßen. Und Diplomaten dürfen die Verhandlungen mittlerweile auch beobachten, das hat die Umgangsformen erheblich verbessert. Früher beschimpfte der Vorsitzende Richter den Angeklagten als Hundesohn, während er heute, unter den Augen der Diplomaten, ganz höflich mit ihm spricht. Doch sosehr sich die Justiz nach außen um ein positives Bild bemüht, die Urteile sind hart.
Manche Anwälte gehen davon aus, dass die Oppositionellen im Rahmen einer Amnestie vor den Präsidentschaftswahlen freikommen werden.
Seit Jahren hoffen die Leute hier auf Reformen und Amnestien – zum Opferfest, zu den Wahlen, zum Parteikongress. Gäbe es einen demokratischen Staat, brauchte man solche willkürlichen Aktionen nicht. Bei jeder Amnestie sagen die Leute, das ist ein positiver Schritt, aber das ist es nicht. Gefangene müssen nach Recht und Gesetz aus dem Gefängnis kommen, nicht nach politischer Stimmung. Ich persönlich vertraue auf gar nichts mehr. Denn wann immer sie zehn freilassen, verhaften sie zehn andere. INTERVIEW: KRISTIN HELBERG