ABGRENZUNG IM NEGATIVEN UND ANBIEDERUNG IM POSITIVEN IST ZWAR EINE GANZ PRAKTISCHE HALTUNG, ABER AUCH UNEHRLICH
: Grölend in Deutschland eingewickelt

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

So feiert der Norden“ heißt es im NDR und dann kann man sich da Bilder von grölenden Leuten ansehen, die in Deutschland eingewickelt sind, die Deutschland auf sich draufgemalt haben, die deutsches Bier trinken und deutsche Wurst essen, die Deutschland schwenken und rufen und die quasi rundum deutsch sind.

Um das mal klar zu stellen: Ich habe das Spiel gesehen. Ich habe jedes Deutschland-Spiel in dieser WM gesehen. Ich mag die Mannschaft. Es war ein schönes Spiel, es hat Spaß gemacht, zuzusehen und nachdem es zu Ende war, habe ich mich wirklich gefreut. Dann bin ich ins Bett gegangen, habe ich das Licht ausgemacht und konnte natürlich nicht schlafen, weil an der Wandsbeker Chaussee Silvester war, mit Feuerwerk, schlimmer als an Silvester und lange, nachdem die Raketen endlich verschossen und die Böller verknallt waren, immer noch die Autos hupten und hupten und hupten.

Noch schlimmer ist es wohl auf dem Kiez gewesen, die Leute haben stundenlang weitergemacht, mit Grölen und Trinken und sich so doll gefreut, als hätten sie selbst etwas ganz Wunderbares vollbracht. Als wäre vielleicht auch der Weltfrieden ausgerufen worden. Nun, ich will keinem vorschreiben, wie er sich zu freuen hat. Mache ich nicht, kann ich nicht. Aber ich fühle mich abgestoßen, von diesem Wir-Gefühl.

Denn WIR sind jetzt Weltmeister. Und der Norden feiert dieses Ereignis ganz gewiss nicht anders als der Süden und der Osten. Wieso aber glauben die Leute, dass die Leistung einzelner Menschen auf sie übergeht? Wieso sind sie stolz auf das Deutsch-Sein, selbst wenn sie selbst in den letzten sieben Jahren keinen Sport getrieben haben? Und wieso teilen solche Deutsch-Stolzen dann so selten auch die Scham über deutsche Verbrecher und deutsche Nazis? Wieso sagen sie da dann immer, dass sie damit doch nichts zu tun hätten? Abgrenzung im Negativen, Anbiederung im Positiven, praktische Haltung, aber unehrlich.

In Eckernförde werden Waffen der Firma SIG Sauer produziert. Gegen die Firma ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft, weil von dort angeblich Waffen nach Kolumbien exportiert wurden. In Kolumbien, wer hätte das gedacht, werden mit diesen Waffen tatsächlich Menschen erschossen.

In Kolumbien werden unbequeme Gewerkschafter zum Beispiel einfach reihenweise ermordet und seit Jahren schwelen bewaffnete Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen, Guerillas und Paramilitärs und Regierungsarmeetruppen. Da wird gemordet, was das Zeug hält und über so etwas freut sich der Waffenhersteller, denn zum Morden sind Waffen ganz gut geeignet.

Der deutsche Staat allerdings verbietet solche Geschäfte, weshalb man sie etwas umständlich über die USA abwickeln muss, die USA hat weniger Probleme mit Waffenlieferungen in Krisengebiete.

Und jetzt zu den deutschen Jubelfreunden zurück: Zieht euch das doch bitte einmal rein, eure schleswig-holsteinischen Landsleute schrauben vermutlich Waffen zusammen, mit denen dann in Kolumbien Leute ermordet werden. Sie gießen sozusagen auch noch Öl ins Feuer eines mörderischen Konfliktes. Wenn das kein Grund zum Stolzsein ist.

Habt ihr nichts mit zu tun? Wieso nicht? Dies ist eine deutsche Firma, das sind doch Deutsche, so wie ihr, so wie eine deutsche Fußballmannschaft. Und wenn ihr nichts damit zu tun haben wollt, wenn ihr Individuen sein wollt, Individuen mit einem deutschen Pass, meinetwegen, dann freut euch angemessen, dann grölt nicht und schwenkt keine scheiß Fahnen. Seid in erster Linie Deutsche, mit allem Erfolg und dann aber auch allem Schrecken, oder seid in erster Linie Mensch. Als Mensch kann man euch nur euer Eigenes zurechnen, was ihr selbst vollbracht und was ihr selbst verbrochen habt.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen