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Archiv-Artikel

Die Uhr tickt, der Druck wächst

AUS LÜNEN NATALIE WIESMANN

Slavisa Mustafic hat es eilig. Er muss eine Arbeit finden. Der Enddreißiger will etwas „mit den Händen tun, auf keinen Fall mit Kugelschreiber“. Er spricht nicht fehlerlos, aber ohne Hemmungen Deutsch. Noch lacht er, wenn er über seine Jobsuche redet. Noch hat er gut acht Monate Zeit.

Seine erste Adresse an diesem Januarmorgen ist eine Gerüstefirma in Dortmund. Der Roma aus Lünen betritt ein kleines Büro. Drei Frauen sitzen am Computer und schauen auf. „Haben Sie eine Arbeit für mich?“ fragt Mustafic in die Runde. „Nein, vor Ostern brauchen Sie nicht mehr zu kommen“, antwortet eine der Frauen kurz angebunden. Dass der Asylbewerber bisher keine Arbeitserlaubnis hat, sei zwar per se kein Hindernis. „Zur Zeit können wir aber nur unsere eigenen Arbeiter beschäftigen.“

Mustafic verabschiedet sich mit einem freundlichen Nicken. „Dann komme ich im April wieder.“ Die Ansprüche an den ersten Job in Deutschland sind hoch. Dauerhaft soll er sein, sozialversicherungspflichtig und mindestens 1.350 Euro netto einbringen. Denn nur so ist für die Bundesrepublik sichergestellt, dass er den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und seine beiden schulpflichtigen Kinder selbst bestreiten kann. Nur so kann er ein Bleiberecht in Deutschland bekommen. Bis Ende September muss er diesen Job finden. Dann läuft das von der Innenministerkonferenz (IMK) im November 2006 gesetzte Ultimatum ab.

1999 floh Slavisa Mustafic mit Frau Tereza und den Kindern Emsa und Dennis vor dem Krieg in Serbien nach NRW. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Die Mustafics legten Widerspruch ein: Tereza Mustafic hat chronisches Asthma und ist stark depressiv. Das haben ihr mehrere Ärzte bestätigt. Trotzdem sind die Chancen auf Asyl gering. Weil die Mustafics aber schon mehr als sechs Jahre da sind und ihre Kinder zur Schule gehen, kommt für sie jetzt ein Bleiberecht in Frage.

Auf den Zeitdruck der Flüchtlinge sind die Ausländerbehörden aber nicht eingestellt. Das NRW-Innenministerium hat sich nach dem Beschluss der IMK fast einen Monat Zeit gelassen, den Behörden eine Handlungsanweisung zu schicken. „Das geht nicht so schnell, da hängt das Schicksal vieler Menschen dran“, hieß es aus Ingo Wolfs Behörde. Mitte Dezember war der Erlass da, von präzisen Richtlinien keine Spur. „Dieses Papier hat wieder neue Fragen aufgeworfen“, bedauert etwa Udo Brost, Leiter des Mülheimer Ausländeramts.

„Es gibt noch Klärungsbedarf“, sagt auch Reinhold Urner, Sprecher der Stadt Lünen. Dort liegen 30 Anträge von Bleiberechtsanwärtern unbearbeitet auf den Schreibtischen der Ausländerbehörde. Nächste Woche soll ein Treffen der Bezirksregierungen mit dem Innenminister Unklarheiten aus dem Weg räumen. Damit sind weitere Wochen der Untätigkeit ins Land gezogen. Zeit, die Mustafic und den anderen etwa 30.000 Bleiberechtsanwärtern in NRW am Ende fehlen wird. „Das ist ein beklagenswerter Zustand, wir sind darüber auch nicht glücklich“, sagt Urner.

Klinken putzen

„Das Ganze ist ein Griff ins Klo“, sagt Michael Hochstrat, Anwalt für Ausländerrecht in Essen. Die Geduldeten belagern ihn seit dem IMK-Beschluss, weil die Behörden sie im Unklaren lassen. Er kann nicht nachvollziehen, warum die Innenminister den Zeitrahmen so eng gesetzt haben. „Sie hätten sagen können: Ab Februar läuft die Uhr.“ Bis dahin wären die Behörden wohl handlungsfähig gewesen.

Von den bürokratischen Pannen weiß Mustafic nichts, er hat noch keinen Antrag auf Bleiberecht gestellt. Noch geht er hoffnungsvoll Klinken putzen. Die nächste Adresse ist ein Geflügelhof. Eine stark geschminkte Mittfünfzigerin öffnet die Tür: „Was wünschen Sie?“ Mustafic fragt nach Arbeit. Die Mitarbeiterin schüttelt den Kopf: „Zurzeit haben wir nichts.“ Jeden Tag klopften hier vier bis fünf Arbeitslose, sagt sie mit genervter Miene.

Selbst wenn Slavisa Mustafic hier eine Arbeit gefunden hätte – die Prüfung seiner Arbeitserlaubnis durch das Arbeitsamt würde sechs bis acht Wochen dauern. Zumindest in Mülheim. „Das ist noch wie vor dem Bleiberechtsbeschluss“, sagt Udo Brost, Chef der Ausländerbehörde. „So war das eigentlich nicht gedacht“, formuliert er vorsichtig. Er sei davon ausgegangen, dass die Vorrangprüfung wegfällt.

Die Vorrangprüfung beschränkt für Asylbewerber und Geduldete den Zugang zum Arbeitsmarkt. Wenn es ihnen gelingt, eine Stelle zu finden, muss ihr neuer Arbeitgeber durch das Arbeitsamt prüfen lassen, ob nicht auch ein Deutscher oder ein EU-Ausländer für den Job in Frage kommt. Dieses Hindernis sollte nun für Bleiberechtsanwärter wegfallen, hatten die Innenminister angekündigt. Das Groteske daran: Die Vorrangprüfung ist für diese Gruppe bereits abgeschafft. Mitte Dezember haben das NRW-Innenministerium und die Regionaldirektion der Arbeitsagentur sich darauf geeinigt. Das erklärten Sprecher beider Institutionen. Kurz vor Silvester soll sogar eine entsprechende Anweisung an alle Arbeitsämter geschickt worden sein. In Mülheim weiß niemand davon.

„Es ist unbegreiflich, dass das bei den Ausländerbehörden nicht ankommt“, sagt Anwalt Hochstrat. Auch sei nirgends kommuniziert worden, dass ausländische Studienabbrecher und Langzeitstudis sich um ein Bleiberecht bewerben können, denn auch sie sind in Deutschland nur geduldet. „Zwei habe ich durchgebracht“, sagt Hochstrat. Jewgenij Arefiev gehört nicht zu ihnen. Der Vorsitzende der ausländischen Studierendenvertretung an der Uni Münster war gerade bei der Ausländerbehörde, um ein Bleiberecht zu beantragen: „Die stellen sich stur“, sagt der 35-Jährige frustriert. Ihm fehlt nicht die Arbeit, sondern ein Pass.

Seit 13 Jahren ist der russischstämmige Student in Deutschland. Als er 2004 die Regelstudienzeit in BWL überschritt, zog das Ausländeramt seinen Pass ein. Die Botschaft will ihm jetzt nur unter einer Voraussetzung neue Papiere besorgen: Das Ausländeramt muss bestätigen, dass er einen legalen Aufenthalt hat. Das will diese aber nicht, Arefiev sei ja nur geduldet. „Ich bin sozusagen illegal hier.“ Pikantes Detail: Die Drogenberatung der Stadt, die ihn zum Illegalen macht, hat den staatlich anerkannten Übersetzer regelmäßig beschäftigt.

Hoffnungsfunken

Trotzdem scheint auch die Ausländerbehörde in Münster den Erlass von Ingo Wolf nicht richtig interpretieren zu wollen. „Wenn Arefiev sich jetzt bemüht, einen Pass zu beschaffen, dürfen sie ihm keine Steine in den Weg legen“, fordert Anwalt Hochstrat. Schließlich habe der Staat ein Interesse daran, engagierte Leute wie ihn hier zu behalten.

Auch Slavisa Mustafic tut etwas für die Gemeinschaft. Seit Jahren putzt er für einen Euro die Stunde die städtischen Parkanlagen in Lünen oder übernimmt Hausmeistertätigkeiten in seiner Wohnanlage. Als Bewerbungsadresse ist diese übrigens kein Aushängeschild: In den schäbigen Wohnblocks am Rande der Stadt sind zu zwei Dritteln Asylbewerber untergebracht, das andere Drittel bewohnen deutsche Langzeitarbeitslose.

In seiner 44-Quadratmeter-Wohnung hat Mustafic einen Computer stehen. Darauf kann er CDs brennen und Filme laufen lassen, Bewerbungen schreiben aber nicht. Dafür reicht sein Schriftdeutsch nicht aus. „Ich muss jemanden finden, der mir hilft.“ Dann will er sich bei einer Reinigungsfirma in Hamm bewerben. „Außerdem soll es Jobs in einer Fleischerei hier in der Nähe geben.“ Hoffnungsfunken.

Tochter Emsa kommt von der Schule nach Hause. Die 14-Jährige trägt Jeans und Wollpullover, unterscheidet sich äußerlich nicht von anderen Teenagern. Nur ihr Gesichtsausdruck ist ernst. Jeden Tag muss Emsa daran denken, dass sie vielleicht bald Deutschland verlassen wird. „Ich glaube nicht, dass Papa bis September einen Job findet“, sagt sie und schüttelt missmutig den Kopf. Und dann: „Manchmal glaube ich, dass es sich gar nicht lohnt, zur Schule zu gehen.“