LESERINNENBRIEFE
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Verkehrte Weltsicht

■ betr.: „Geht’s noch? Crashkurs Nahost“, taz vom 12. 7. 14

Die Hamas verdient es gewiss nicht, in irgendeiner Weise verharmlost oder gar glorifiziert zu werden. Würde sie über dasselbe Arsenal an Waffen verfügen wie das israelische Militär, so würde sie höchstwahrscheinlich nicht minder menschenverachtend und Dutzende ziviler Opfer in Kauf nehmend agieren. Dazu fehlen ihr lediglich die Mittel. Dass aber, wie Frau Sonja Vogel in ihrem „Crashkurs Nahost“ behauptet, „die Raketen aus Wohngebieten starten, um deren Beschuss zu provozieren“, ist nicht einfach nur falsch, sondern deutet auf eine rundweg verkehrte Weltsicht hin. Geht’s noch?

WENZEL BORUCKI, Essen

Simple Welterklärung

■ betr.: „Geht’s noch? Crashkurs Nahost“, taz vom 12. 7. 14

Liebhaber simpler Welterklärung scheint Sonja Vogel selbst zu sein, mal abgesehen davon, dass sie keine einzige Quelle nennt. Ich weiß ja nicht, welche Zeitungen sie liest und welche Radio- und Fernsehprogramme sie hört und ansieht, aber der Tenor in den meisten deutschen Medien wie Spiegel, Zeit, Süddeutsche, „Tagesschau“, „heute journal“ etc. war und ist, dass sich Israel verteidigt. Es wird zwar auch Kritik an der Eskalationsstrategie Israels und dem ständigen Siedlungsbau geübt, dass das aber bedeutet, dass die Medien insgesamt quasi über Israel herfallen, ist schlicht unwahr.

Einen sehr guten Artikel von Owen Jones über den Tenor in westlichen Medien insgesamt erschien am 9. Juli im Guardian, darin heißt es: „Die makabre Wahrheit lautet, dass israelisches Leben aus der Sicht westlicher Medien für wertvoller gehalten wird als palästinensisches Leben – hier ist die ,Hierarchie des Todes‘ am Werk.“ (…) – die Berichterstattung der Medien reflektiert kaum die Realität: eine militärische Supermacht, die mit F-15-Kampf-Jets, AH-Apache-Helikoptern, Delilah-Raketen, IAI-Heron-1-Drohnen und Jericho II Missiles (und Nuklearwaffen) bewaffnet ist, kämpft gegen das, was David Cameron als „Gefangenenlager“ bezeichnet hat, das fast gänzlich „unwirksame Geschosse abfeuert“. Im Endeffekt ist es jedoch völlig nutzlos, ständig nur die Ereignisse der letzten paar Wochen zur Grundlage von Beschuldigungen zu machen, denn solange das Grundproblem der Entrechtung der Palästinenser nicht gelöst ist, wird es weitergehen wie bisher. MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Keine negativen Konsequenzen

■ betr.: „Geht’s noch? Crashkurs Nahost“, taz vom 12. 7. 14

In der ganzen Argumentation fehlen Aspekte, die unbedingt hineingehören: Israel ist ein Besatzerstaat. Es verhält sich täglich völkerrechts- und menschenrechtswidrig. In Gaza leben Leute, die selbst vertrieben wurden oder deren Verwandte vertrieben oder ermordet wurden, von jüdischen Israelis. Diese Leute erfahren täglich, wie ihr Land von Israel Stück für Stück geraubt wird. Gaza ist von Israel abgeriegelt, notwendige Güter werden nicht hineingelassen. „Die Milliarden, die die EU überwies“, sind teilweise in die Infrastruktur gesteckt worden, die Israel im letzten Gazakrieg teilweise mit Bomben wieder zerstörte. Die Hamas hat demokratische Wahlen gewonnen; das wurde von Israel – dem angeblich so demokratischen Staat – nicht akzeptiert, in der Folge von USA und Deutschland auch nicht. Die Weltgemeinschaft – vor allem die USA und Deutschland – tut immer noch so, als könnten die „Konfliktparteien“ die Angelegenheit unter sich regeln. Dabei trägt sie die Verantwortung für die negative Entwicklung, weil sie seit der Staatsgründung Israels diesem alles hat durchgehen lassen an „Untaten“; spärliche verbale Kritik hat nie zu negativen Konsequenzen geführt. GEORG FRITZEN, Düren

Zusammenhänge ignoriert

■ betr.: „Geht’s noch? Crashkurs Nahost“, taz vom 12. 7. 14

In Ihrem Kommentar wenden Sie sich gegen vereinfachende und stereotype Darstellungen des Hergangs des derzeitigen Gewaltausbruchs zwischen Israelis und Palästinensern – eine Kritik, die ich durchaus teile. Leider machen Sie dann in Ihrem Kommentar exakt dasselbe. Sie verweisen auf die Ermordung der drei israelischen Jugendlichen und den Raketenbeschuss aus Gaza als Beleg für von Palästinensern ausgehende Bedrohung Israels. Das Narrativ ist folglich: die Palästinenser fangen grundlos an – passend zum Bild der irrationalen, fanatischen Araber – und Israel verteidigt sich lediglich, wie es jeder Staat tun würde. Jeder, wirklich jeder, der sich mit diesem entsetzlichen Konflikt beschäftigt, sollte eigentlich wissen, dass man die Ursachen desselben nicht ohne Einbeziehung des historischen Kontexts betrachten kann.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum dieses trostlose, unfruchtbare Stück Land namens Gazastreifen von 1,5 Millionen Menschen bevölkert wird? Es handelt sich hier weitgehend um Nachfahren von Arabern, die bis 1948 auf dem Territorium des heutigen Israel gelebt haben und anschließend von Israelis vertrieben wurden. Die direkt am Gazastreifen gelegene Siedlung Sderot, die häufig beschossen wird, steht übrigens auf den Ruinen des arabischen Dorfes Huj. Dessen Bewohner hatten 1946 Angehörige der Haganah vor der britischen Armee versteckt. Als Dank sind sie 1948 von israelischen Soldaten vertrieben worden. Zirka 6.000 Nachkommen der Bewohner Hujs leben heutzutage in Gaza – in dem Reservat, das ihnen Israel und Ägypten zugewiesen haben. Es könnte also sein, dass der historische Kontext Erklärungen für die Gewaltausbrüche liefert, die durch die Asymmetrie der Machtverhältnisse weiter beflügelt werden. Diese Zusammenhänge einfach zu ignorieren ist kein seriöser Journalismus. NICO DITSCHER, Jena