: Eine, die nicht anders konnte
Die Gotteskriegerin Jeanne d’Arc als Gestalt gewordene Idee der Freiheit: Der Wucht der historischen Fakten setzt Felicitas Hoppe in ihrem Roman „Johanna“ die Kunst des Fiktiven entgegen. Dafür erhält sie heute den diesjährigen Bremer Literaturpreis
Männerhirn und Frauenherz hat es betört, das fromme Bauernmädchen aus der Champagne, das weder lesen noch schreiben konnte. Männerherz und Frauenhirn wiederum fühlen sich herausgefordert von Jeanne d’Arc, die im Alter von 16 Jahren rotzfrech in Männerkleidung am Hofe Karls VII. erschien und anbot, die englischen Besatzer aus Orléans zu vertreiben und dem ungekrönten Dauphin zur Königswürde zu verhelfen. Beides gelang. Das wiederum irritierte Hirne und Herzen der Zeitgenossen derart, dass Jeanne im Februar 1431 wegen Ketzerei verurteilt und auf dem Scheiterhaufen endete.
Eine Erwählte, die einen Staat gebar und Opfer ihrer Selbstgewissheit wurde. Die nicht anders konnte. Ein Sujet, mit dem die Autorin Felicitas Hoppe, seit ihren Erzählungen „Picknick der Friseure“ (1996) im deutschen Literaturolymp beheimatet, so akrobatisch wie poesiewillig jongliert. Dafür bekommt die geborene Hamelnerin heute von der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung den mit 20.000 Euro dotierten Bremer Literaturpreis 2007.
„Johanna“ heißt die 170-seitige Ich-Erzählung einer Studentin: eine Verliebtheitsgeschichte, die nicht so recht ins kuschelige Bett kommt, weil sie kaum mehr aufzuweisen hat als Gesprächsbegegnungen mit dem angehimmelten Kommilitonen, der bereits in den Doktorstand erhoben wurde. Gespräche über die heilige Johanna, Jeanne d‘Arc, Saint Joan, das Prüfungsthema der Studentin. Diese schafft es in ihrem Promotionsstress nicht, irgendeinen Gedanken, irgendein Erlebnis einfach so dahinzufabulieren. Immer funkt Johanna dazwischen, ist Reibungspunkt, provoziert Fragen: nach Unbedingtheit, Mut, Auflehnung und Selbstaufgabe.
Ein Balanceakt: Nachdenken über und Identifikation mit dieser Variante des weiblichen Erlösers. Die Gotteskriegerin als Gestalt gewordene Idee der Freiheit. „Ein Kind unterm Helm der Vermessenheit“, wie Hoppe es formuliert, „das Ziel unserer Wünsche, zwischen Gipfel und Abgrund, auf der Mitte der Leiter, von der wir nicht wissen, wohin sie führt.“
Die Autorin steht nicht allein mit ihrer Art von Besessenheit für diese Amazone, die sich, unberührt von den „Flammen eitler Erdenlust“ (Schiller), zum Gefäß Gottes erklärt und lieber ein großes Schwert schwingt, als mit Jungs zu poussieren. Kleriker, Politiker und Künstler entschieden, alle auf ihre Art, ob Johanna als naive Hirtin, religiöse Ekstatikerin, charismatische Feldherrin, blutsaufende Kampfmaschine zu sehen sei, als Hexe oder himmlische Botin. Besonders Schillers „romantische Tragödie“ – als Gleichnis der Kollision von Ideal und Wirklichkeit, heiligem und blutigem Krieg – zeigt ein aktuelles Thema. Nach wie vor werden Menschen ja unter Berufung auf göttliche Aufträge abgeschlachtet. Make War, not Love, könnte Johannas reizvoll-abschreckendes Motto lauten. Womit sie auch zur Pop-Ikone avancierte: rebellierender Teenager, der unbeirrbar an seinen Idealen festhält.
Mit all dem spielt Felicitas Hoppe in „Johanna“: in einer klaren, hellen und doch mit Doppel-, Tief- und Hintersinn verdunkelten Sprache. Beschreibung des Lebens als endloser Gedankenstrom, empfänglich für die Einflüsterungen der Fantasie. Traumlogisches Vexierspiel, selbstreferenzielles System – in diesem Kontext fühlt sich Felicitas Hoppe zunehmend daheim. Nicht von der Wucht des Faktischen lässt sie sich überwältigen, sondern setzt die Kunst des Fiktiven dagegen. Aus Erzähllust entsteht funkelnde Verspiegelungsliteratur, die zwischen historischem Material und literarischer Personnage ein System von Verweisen, Korrespondenzen und Anspielungen inszeniert. „Johanna“: das Porträt einer Frau, ungeküsst und in ständiger gedanklicher Bewegung. JENS FISCHER
Preisverleihung: heute, 12 Uhr, Altes Rathaus, Bremen