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Archiv-Artikel

Klaus Wowereits Bußgang nach Kreuzberg Nachschulung für den Medienprofi

Tiere und Kinder verkaufen sich immer. Diese alte Schaustellerweisheit beherzigte der selige Rudi Carrell, und Klaus Wowereit ist sein gelehriger Schüler. Mit einem Golden Retriever namens Lotti an der Leine betrat der Regierende gestern die Charlotte-Salomon-Grundschule in Kreuzberg, und Fotografen und Kameraleute dankten es ihm. „Berlins einziger Schulhund“ erleichterte dem Medienprofi den Bußgang. „Lotti, guck mal“, sagte Wowereit unter stetigem Kameraklicken, „das sind die bösen Fotografen.“ Die skurrile Medienshow des Regierenden hatte begonnen.

Lächelnd und frisch frisiert betrat Wowereit die Vorzeigegrundschule in der Großbeerenstraße. Wowereit war hier, weil der Medienprofi in ihm am 6. Dezember eine folgenschwere Verschnaufpause genommen hatte. In jenem Moment hatte er mit Nein auf die Frage geantwortet, ob er ein eigenes Kind auf eine Kreuzberger Schule schicken würde. Das hatte er dummerweise in die Fernsehkamera des Nachrichtensenders N 24 gesagt und obendrein hinzugefügt: „Ich kann auch jeden verstehen, der sagt, dass er da seine Kinder nicht hinschickt.“ Wowereit war gestern also auf Bewährung hier, und ziemlich genau drei Stunden lang bewahrte der Medienprofi in ihm auch die Oberhand.

Drei Sozialstunden lang musste Wowereit dafür büßen, ausgesprochen zu haben, was die Mehrheit der Berliner denkt, ein Regierungschef aber so nicht sagen darf. Die Strafe: Besuche der Lina-Morgenstern-Oberschule, des Leibniz-Gymnasiums und ebenjener Charlotte-Salomon-Grundschule, wo er zur Journalistenbegrüßung Fotografen beleidigte. Unterrichtsbesichtigungen, Eltern-Lehrer-Treffen, ein Interview mit einer Schülerzeitung – nichts ersparte ihm die Initiatorin dieses Bußgangs, die Lehrergewerkschaft GEW. Alles schien gut gegangen zu sein bis dahin. Die Schultour hatte unter Ausschluss der Presse stattgefunden. Im Anschluss gönnte sich der Regierende erneut in einem denkbar ungünstigen Moment einen Lapsus, vor rund 30 Journalisten auf der abschließenden Pressekonferenz. Die Medienleute wollten aber auch wirklich gemeine Dinge wissen.

Denn als eine Journalistin fragte, warum er ausgerechnet die drei Vorzeigeschulen des Bezirks besichtige, statt in weniger angesehene Lehreinrichtungen zu blicken, war es aus mit Wowereits Contenance. „Sie gehen immer nur hin, wenn was an der Rütli-Schule ist“, rief er ins leer geräumte Klassenzimmer. Der Regierende richtete sich mit jedem Satz weiter auf seinem Stuhl auf. Er besuche regelmäßig Schulen, aber da begleiteten ihn trotz regelmäßiger Einladung Journalisten ja nie. Höchstens mal einer von Lokalblättchen à la „Marzahner Scholle“. „Warum sind Sie heute da?“, fragte Wowereit die Presseleute. Die Antwort gab er selbst: Nur wegen seiner misslungenen Fernsehäußerung, nicht um über Erfolge in den Schulen zu berichten. Auch künftig werde er Schulen besuchen: „Ich brauche die Pressebegleitung dazu nicht.“

Hatte der Mann, der aufgebracht auf der Vorderkante eines Schulstuhls saß, nicht Recht? Ging es den Frauen und Männern mit den Schreibblöcken, Foto- und TV-Kameras nicht tatsächlich um die oberflächliche Geschichte? Der Frager selbst erlöste die anwesenden Journalisten von eventuell keimenden Selbstzweifeln: Er führte seine eigene Medienkritik ad absurdum.

Miriam Noa, eine SPD-Verordnete der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg, fragte den „lieben Klaus“, warum er das Fraktionsangebot zu einer weiteren Tour durch Kiezschulen ausgeschlagen habe. Den Journalisten vor ihm diktierte er ruhig in die Blöcke, der Rundgang mit der GEW sei genug. „Und ich glaube, Ihr Interesse wäre dann auch nicht mehr so groß.“ MATTHIAS LOHRE