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Archiv-Artikel

Der Lehrerbetrug nach dem Rütlikollaps

Nach einem erneuten Vorfall an einer Berliner Schule taucht die Frage auf: Was haben die Stadt und das Land eigentlich aus der Rütlikrise gelernt? Offenbar wenig. In Berlin kommen neue Lehrerstellen nicht an, in NRW bleiben sie wirkungslos

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER UND NATALIE WIESMANN

Der Regierende Bürgermeister hat seine Lektion gelernt. Als Klaus Wowereit (SPD) gestern Schulen im Brennpunktkiez Kreuzberg besuchte, sagte er: „Ja, ganz deutlich: Ich würde meine Kinder auf diese Schule schicken.“ Vor wenigen Wochen hatte Wowereit auf eine entsprechende Frage noch ganz anders geantwortet: Nein, nicht auf Schulen in Kreuzberg.

Wowereits Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) hat seine Lektion nicht gelernt. Schulleiter baten, jeder so genannten Brennpunktschule mindestens einen Sozialarbeiter zur Verfügung zu stellen. Das lehnte Zöllner barsch ab: Dafür gebe es kein Geld. Daraufhin kritierten ihn seine eigenen Sozialdemokraten. „Wir brauchen hier keine Sterbesakramente“, sagte der Neuköllner Schulstadtrat Wolfgang Schimmang der taz, „sondern entschlossene politische Hilfen in unseren Problemschulen.“ Schimmang (SPD) fordert „für jede Brennpunktschule eine funktionierende Schulstation mit zwei Sozialarbeitern.“

Die Diskussion entbrannte nach einem Zwischenfall an einer Berliner Schule. Mehrere Jugendliche hatten am Wochenende einen 42-jährigen Mann angegriffen und mit einer Eisenstange traktiert. Alle Jugendlichen haben Migrationshintergrund. Sie seien auf den Polizeibeamten in Zivil losgegangen, hieß es, als er seinen Dienstausweis gezeigt hatte. Keiner der brutal agierenden 15- bis 17-jährigen war zuvor polizeilich aufgefallen.

Nach dem Zwischenfall steht in Berlin erneut die Frage auf der Tagesordnung: Was ist eigentlich nach dem Kollaps der Neuköllner Rütlischule vor gut einem Jahr passiert? „Da ist viel zu wenig unternommen worden“, sagte Sanem Kleff, Vorsitzende des bundesweiten Vereins „Schule ohne Rassismus“. Die Chefin der Berliner GEW, Rose-Marie Seggelke, sagte über die Brennpunktschulen: „Es gab keine zusätzlichen Stellen für Sozialarbeiter und Lehrer – das gibt’s nie.“

Die waren aber versprochen worden – in Berlin genauso wie in Nordrhein-Westfalen (NRW), das mit einer „Qualitätsoffensive“ auf die Rütlikrise reagiert hatte. „Uns liegen die Hauptschulen ganz besonders am Herzen“, hatte NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) erklärt.

Die Bilanz fällt nun so aus: In Berlin bekamen 60 der 150 Brennpunktschulen je einen Sozialarbeiter – zeitlich befristet und bezahlt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Zudem wurden 50 Lehrerstellen für die 55 Berliner Hauptschulen eingerichtet – allerdings nicht zusätzlich, sondern zum Tausch. Für die neuen Lehrer haben im Gegenzug überforderte Pädagogen die Möglichkeit erhalten, die Problemhauptschulen zu verlassen.

In Nordrhein-Westfalen sieht die Sache besser aus – auf den ersten Blick. Dort wurden im Jahr 2006 nach einem Sozialindex 1.100 neue LehrerInnen an Brennpunktschulen verteilt – 500 davon an Hauptschulen.

Die Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen, die ganz oben auf dem Sozialindex stand, hat am meisten davon abbekommen: ganze 11,6 Hauptschullehrer für 8 Schulen – pro Brennpunkt also etwas mehr als eine Stelle. In sozial besser gestellten Städten kommt auf eine Schule ein halber neuer Lehrer.

Allerdings behaupten die Lehrerverbände in NRW, dass diese Rechnung nicht aufgeht. „Mit ein paar mehr Lehrern kann die Situation auf den Hauptschulen nicht gerettet werden“, kritisiert Christel Jungmann vom Landesverband Bildung und Erziehung (VBE). Und Berthold Paschert, Sprecher der GEW in Nordrhein-Westfalen, behauptet, die neuen Stellen würden im Schulalltag aufgezehrt: „Die werden für den Unterrichtsfall eingesetzt“, sagte er der taz.

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