: Ein Verstoß gegen das elfte Gebot
MÜNCHEN taz ■ Hiermit hat Heinrich von Pierer nichts zu tun. Auch wenn es so gut passen würde. Der nette Herr Seitz vom Wachdienst breitet seine Arm aus und sagt: „Na, hier dürfen Sie nicht raus.“ Journalisten hätten von nun an keinen Zutritt mehr zum Publikumsbereich. Eingesperrt in den Pressebereich, fernab der Kleinaktionäre. „Weisung von ganz oben“, entschuldigt sich Herr Seitz und zeigt mit dem Zeigefinger in Richtung Hallendecke. Aus so einer Situation kommt man nur, wenn man die Regeln missachtet.
„Das stört mich nicht so sehr“, sagt Franz Winkler, „diese Sache mit dem Schmiergeld.“ Winkler ist 80 Jahre alt, in seinen Mundwinkeln hängt der Rest eines Schokocroissants. Heute Morgen ist er mit dem Auto von Markt Oberdorf die 100 Kilometer durch den Schnee nach München gefahren: „Ich habe ja 1.000 Aktien. Da wollte ich mal wieder vorbeischauen.“ Wegen des Schmiergelds ist er nicht da, „machen andere Firmen ja auch. Siemens hat eben das 11. Gebot nicht beachtet.“ Und das heißt? „Lass dich nicht erwischen!“
Vor 60 Jahren stieg Winkler bei Siemens ein. „Siemens ist nie schlecht“, hat er sich damals gedacht. Heute ist bei Siemens einiges nicht mehr wie es war, „zum Beispiel die hohen Vorstandsgehälter. Das stört mich wirklich. Und die Geschichte mit BenQ war unverantwortlich.“ Winkler wischt sich die Schokokrümel aus dem Mund, im Hintergrund spricht immer noch Klaus Kleinfeld, der Mann, der wegen des BenQ-Desasters schlaflose Nächte hatte. „Er und Pierer haben den Konzern nicht richtig im Griff“, analysiert Winkler, „deswegen entlaste ich die auch nicht.“
Ein paar Meter weiter hat sich eine Menschenmenge vor einem Flachbildschirm gebildet. Auf dem Bildschirm ist eine Frau zu sehen, die der Bundesfamilienministerin von der Leyen nicht unähnlich ist: Daniela Bergdolt von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, eine Art Schutzheilige der Aktionäre. Die Zuschauer nicken. Bergdolt greift den Vorstand wegen der Korruptionsaffäre an, wirft den Herren vor, die Öffentlichkeit nicht rechtzeitig informiert zu haben. Auch ein Siemens-Mitarbeiter nickt heftig: „So unschuldig, wie sie tun, sind die Herren nicht.“
Seit 24 Jahren arbeitet der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, für Siemens Networks. Noch. Bald heißt sein Arbeitgeber Nokia Siemens Networks. An der Loyalität zu seinem Arbeitgeber wird das aber nichts ändern: „Ich habe ja keine Angst um meinen Arbeitsplatz.“ Trotzdem oder gerade deswegen ist die „Sache mit der Korruption“ für den Mann ein einziges „Verschleudern von Geld“.
Auf den Gängen rund um die Halle drängeln sich die Aktionäre vor Kaffeeständen. „Die Becher werden von Jahr zu Jahr schlechter“, motzt Wolfgang Gürster, ein 42-Jähriger aus Regenstauf bei Regensburg, während er seinen Kaffee umrührt. „Wissen’S“, sagt er, „Siemens is a Vorzeigeunternehmen. Die Korruptionsaffäre wirft ein schlechtes Licht auf den gesamten Standort Deutschland.“
Überhaupt: „Es kommt zu viel auf einmal. Das ist man von Siemens nicht gewohnt“, sagt Gürster, der erst mal keine Aktien von Siemens mehr kaufen will, solange die Probleme nicht beseitigt sind. Ob er den Vorstand entlasten wird, weiß er noch nicht: „Schmiergeld mag gang und gäbe sein. Aber es ist halt immer noch ein Gesetzesbruch.“DOMINIK SCHOTTNER