Niedersachsen verdoppelt Inklusion

BILDUNG Das Land hat beim gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte aufgeholt. Lehrerverband fordert bessere Qualifikationsmöglichkeiten. Unis sollen Kapazitäten ausweiten

Niedersachsen hat beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung aufgeholt. Insgesamt werden an 2.140 Regelschulen Schüler mit Förderbedarf unterrichtet – doppelt so viele wie vor dem Start der inklusiven Schule vor einem Jahr. Seitdem erhalten alle Grundschulen im Land automatisch eine sonderpädagogische Grundversorgung. Aber auch 437 der insgesamt 813 Haupt- und Realschulen, Oberschulen, Gesamtschulen sowie Gymnasien haben Inklusionsklassen im fünften Jahrgang, wie das Kultusministerium mitteilte.

Rund 30 Prozent der Schüler mit Unterstützungsbedarf besuchen demnach eine reguläre Schule. Das sei ein sehr gutes Ergebnis für das erste Jahr, findet Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD). Seit August 2013 können Eltern wählen, auf welche Schule sie ihre beeinträchtigten Kinder schicken. Zuvor waren viele dieser Jungen und Mädchen etwa mit dem Hinweis auf räumliche Barrieren abgelehnt worden. Insgesamt haben rund 39.000 Kinder in Niedersachsen Lernschwierigkeiten oder körperliche, geistige sowie emotionale Beeinträchtigungen.

Sonderpädagogen fehlen

Aus Sicht der Lehrer muss das Land die Pädagogen besser auf diese Kinder vorbereiten. „Das Fortbildungsangebot reicht nicht für alle aus und ist nicht systematisch“, sagt die Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Gitta Franke-Zöllmer. Die Lehrer sollten sich berufsbegleitend qualifizieren können, etwa an den Unis. In Regionen wie Georgsmarienhütte arbeiten Schulen schon seit 15 Jahren inklusiv. „Es klappt sehr gut, aber man muss die Rahmenbedingungen schaffen“, betonte die Verbandschefin.

Ein großes Manko ist der Mangel an Sonderpädagogen. Heiligenstadt sagte: „Wir könnten im Moment 200 zusätzliche Stellen besetzen, wenn es dafür qualifizierte Bewerbungen gäbe.“ Derzeit bieten nur die Universitäten Oldenburg und Hannover den Lehramts-Studiengang Sonderpädagogik an. Dem Kultusministerium zufolge wird mit den beiden Unis über eine Ausweitung der Studienkapazitäten verhandelt.

Kritik an Doppelstruktur

Im Schuljahr 2012/2013 hatten landesweit erst 14,7 Prozent der Förderschüler eine Regelschule besucht. Die Bertelsmann Stiftung bemängelte auf Grundlage dieser Zahlen, dass die Inklusion im niedersächsischen Schulsystem nur sehr langsam vorankomme. Stiftungsvorstand Jörg Dräger kritisierte, dass Niedersachsen das Doppelsystem aus Regel- und Sonderschulen aufrechterhalte.

Tatsächlich ist bisher nur das Aus der Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen beschlossene Sache. Die Opposition im Landtag sowie der Philologenverband befürchten jedoch, dass Rot-Grün schrittweise alle Förderschulen abschaffen werde und Eltern damit die Wahl nehmen könnte. Einige Eltern sehen ihr behindertes Kind in einem geschützten Raum besser aufgehoben und gefördert als an einer Regelschule.

Die CDU-Landtagsfraktion will die inklusive Schule noch vor der Sommerpause erneut im Landtag thematisieren. Die Lehrerfortbildung müsse weiter gezielt ausgebaut werden, sagte CDU-Bildungsexperte Kai Seefried.  (dpa)