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Archiv-Artikel

„Mein Jubel hat keine Aussage“

„Wenn es mit dem Beruf des Fußballers nicht geklappt hätte, wäre aus mir auch so etwas Anständiges geworden“„Es braucht niemand einen Zweifel zu haben, dass ich, Bayern hin oder her, alles geben werde, damit wir mit Alemannia die Klasse halten“

INTERVIEW BERND MÜLLENDER

taz: Herr Schlaudraff, ist Ihre Mutter zufrieden mit Ihnen in letzter Zeit?

Jan Schlaudraff: Davon gehe ich aus. Warum?

Sie sagten mal, die Frau Mama achte bei Interviews immer sehr auf Ihre Rhetorik.

Stimmt. Bisher gab es nicht viel zu bemängeln. Ein paar Sachen fallen ihr ab und zu mal auf, nicht so bei Zeitungsinterviews, mehr vor der Kamera.

Sie mussten Ihre Mutter auch mal schelten: wegen des Fotos mit den langen Unterhosen.

Ja, da hat sie sich in der Euphorie (nach Schlaudraffs Länderspielpremiere im Oktober; d. Red.) überrumpeln lassen von der Bild-Zeitung. Die fragten nach Bildern aus meiner Jugend und ob sie eins haben könnten. Und dann stand da der junge Jan auf dem Aschenplatz mit langer Unterhose, in bunten Farben sogar. War nicht weiter schlimm und sogar ganz witzig. Aber seitdem ist klargestellt: Es wird nicht mehr dazu kommen, dass meine Familie, Freunde und Bekannte in den Medien auftauchen.

Sie haben gesagt, Sie hätten mit Freunden und Familie diskutiert, ob Sie zum FC Bayern gehen sollen. Welche Gegenstimmen gab es?

Gegenstimmen nicht, aber kritische Stimmen. Die gesagt haben, das wird noch schwerer als bei jedem anderen Verein. Mir ist es wichtig, dass man sich im Team miteinander beschäftigt und redet, dass man ein gutes Verhältnis untereinander hat. Und da haben manche gewarnt, bei den Bayern kommt man zur Arbeit und danach geht es wieder nach Hause. Aber ich glaube nicht, dass es so schlimm ist.

Was sprach denn ernsthaft gegen die Bayern?

Wüsste ich nicht. Die Alternativen wären Bremen oder Dortmund gewesen, da gibt es auch Perspektiven, viele Möglichkeiten. Aber es spricht eben noch mehr für die Bayern als für die anderen.

Was hat (der Bremer Nationalmannschaftskollege und Ex-Aachener) Torsten Frings gesagt?

Er glaubt, es sei nicht die richtige Entscheidung. Der Torsten glaubt, mir hätte Werder Bremen besser getan.

Und was mussten Sie sich alles anhören nach der Entscheidung? Sticheleien, einen neuen Spitznamen?

Im Hotel hat mal einer „Lederhose“ gerufen. Wenn ich mal etwas gemächlicher auslaufe, sagt einer: Das wirste dir bei den Bayern aber nicht erlauben können. Wenn ich meine Schuhe putze, sagt der Zeugwart: Jan, halt durch die paar Monate, danach musste das ja nicht mehr tun. Meine Mutter hat mir ein Kochbuch geschenkt: „Die Bayerische Küche“. Und man muss jetzt bei allem aufpassen: Ich sag schon immer Servus statt Hallo, aber jetzt gibt‘s sicher gleich die Frage: Ach, schon umgestellt...?

Und Sie selbst? Haben Sie schon in den Biografien von Karl Valentin, Franz Josef Strauß oder König Ludwig gestöbert? Oder Edmund Stoiber genauer verfolgt?

Um Gottes Willen. Das nächste halbe Jahr geht es um Alemannia Aachen. Und mit Edmund Stoiber beschäftige ich mich auch nicht so intensiv; es spricht ja vieles dafür, dass er nicht mehr da ist, wenn ich in München bin.

Bayern-Manager Uli Hoeneß hat Sie ständig angerufen, sich bemüht. War das mit ausschlaggebend?

Es hat mir das Gefühl gegeben, wie wichtig es ihm ist, dass ich zum FC Bayern komme. Das war aber kein Belästigen.

Diese Woche hat Hoeneß plötzlich ein Angebot für einen Transfer per sofort gemacht.

Natürlich habe ich das mitbekommen. Aber die Frage hat mich nicht mehr beschäftigt. Die Sache war ja klar: Ich bleibe bis zum Sommer in Aachen.

Im Winter waren Sie der begehrteste Spieler der Liga. Anfangs war alles so anders. Als Sie mit 16 von Bingen in die A-Jugend des Zweitligisten Darmstadt 98 wechseln sollten, schafften die es sechs Wochen lang nicht, Ihnen ein Zimmer zu besorgen. Daraufhin sind Sie wieder zurück. Und in Gladbach hat niemand an Sie geglaubt. Komisch oder?

In Darmstadt war das sicher etwas komisch. Das haben die damals nicht auf die Reihe bekommen. In Mönchengladbach war das etwas anders, als oft dargestellt. Bei Hans Meyer hatte ich als ganz junger Spieler meine Einsatzzeiten. Dann war ich ein Jahr verletzt, dann kam ein neuer Trainer, Dick Advocaat, der auf erfahrene Spieler setzte. Und der neue Manager Peter Pander hat sich wohl zu viel auf die Einschätzungen im Verein verlassen. Aachen hat mir zweieinhalb Jahre sehr gut getan.

Für Ihre Sprüche und Witze werden Sie gerühmt und manchmal auch gescholten. Plaudern Sie mal.

Ich bin ein Mensch mit einem gesunden Maß an Selbstbewusstsein, der nicht davor zurückschreckt, seine Meinung kundzutun. Aber ich habe gelernt, dass ich nicht in jeder Situation zu allem meinen Senf dazutun muss. Anfangs habe ich da Fehler gemacht.

Zu viel Senf?

Genau. Manches war auch nicht so gemeint. Was einem bei Erfolg als witzig und cool ausgelegt wird, wirkt ansonsten leicht als Arroganz, als Unkonzentriertheit und zu lässig. Da muss man im Fußballgeschäft gut aufpassen.

Unter Arroganzverdacht steht auch Ihr gewöhnungsbedürftiger Torjubel. Je toller Ihre Treffer, desto maskenhafter wirkt ihre Freude. Sie jubeln, wie Putin immer guckt, mit Pokerface, ohne Mimik. Sind Sie die Wiedergeburt eines sowjetzonalen Geheimagenten?

Gar nicht schlecht, die Formulierung! Mein Jubel hat keine Absicht oder Aussage. Das ist Typsache. Ich freue mich ja, aber mehr nach innen. Als Genugtuung. Ich muss das nicht spektakulär nach außen dokumentieren. Andere brüllen das raus.

Der Jan Schlaudraff redet, verglichen mit manch anderem Fußballer, erfrischend druckreif, pointiert und intelligent. Was haben Sie eigentlich für eine Ausbildung?

Keine Ausbildung.

Bitte?

Na ja, Schule schon. Realschule bis zum Ende. Dann wollte ich Fachabi machen, Richtung Wirtschaft, aber da kam Borussia Mönchengladbach dazwischen und ich hab‘s geschmissen. Seitdem geht‘s nur um Fußball. Aber ich lesen heute auch mal die Zeitung jenseits des Sportteils. Und wenn es mit dem Beruf als Fußballer nicht geklappt hätte, wäre aus mir auch so etwas Anständiges geworden. Da habe ich keine Bedenken.

Und jetzt auch noch das „Tor des Jahres“ ( der grandiose Lupfer im November gegen Werder Bremen; d. Red. )...

Wie, ist das schon entschieden?

Nein, erst nächste Woche.

Aber das wäre ein Riesending. Das wäre der Höhepunkt eines sehr, sehr erfolgreichen und ereignisreichen Fußballjahres. Ich wäre darüber, ja, sehr sehr glücklich. Doch.

Ist Ihnen das wirklich so wichtig? Ich dachte, das nehmen Fußballer cool zur Kenntnis, Sie womöglich besonders.

Nein, gar nicht. Tor des Jahres – dazu hast du vielleicht nur einmal die Chance in deiner Karriere. Das würde auch gefeiert.

Was wird Ihnen an Aachen fehlen?

Eine ganze Menge. Die Mannschaft, das Umfeld, das Familiäre hier bei der Alemannia. Auch zwei, drei Leute aus der Stadt, und der Laden, wo ich meine Klamotten kaufe.

Verlassen Sie Alemannia als Erstligisten?

Davon gehe ich aus.

Gehen Sie zu einem Championsligisten?

Gehe ich auch von aus.

Ein Angebot noch: Sie dürfen was sagen, und ich stelle danach die passende Frage. Was die Menschen unbedingt über Jan Schlaudraff wissen müssen, aber dummerweise nie einer fragt.

Gut. Es braucht niemand Zweifel haben, dass ich, Bayern hin oder her, alles geben werde, damit wir mit Alemannia die Klasse halten.

Die Frage dazu lautet also, bitte sehr: Sind Sie mit Ihren Gedanken womöglich schon zu sehr in München? Gut, zum Schluss nochmal zurück zur Familie. Sie wohnen mit Ihrem studierenden Bruder zusammen. Wechselt der auch an die FU oder TU München?

Nein, der studiert Sport in Köln und ist jetzt fertig.

Und wir hören mit dem Vater auf. Der ist Pfarrer. Katholisch oder evangelisch?

Evangelisch. Katholisch wäre ja auch schwierig...

Ich wollte ja nur sicherstellen, dass sich hinter Ihrer Existenz nicht eine sensationelle Biografie verbirgt. Und Ihre Mutter gar eine Exnonne ist.

Nein nein, die ist Lehrerin für Deutsch, Sport und Sozialkunde. Da gibt es keine Sensation. Alles ganz normal.