Jugendkriminalität : Bankrotterklärung der Politiker
Nun ist auch bei SPD-Landeschef Michael Müller angekommen, dass Berlin ein Problem mit Jugendgewalt hat. Er hat konstatiert, dass bei einigen gewalttätigen Jugendlichen ein Wertesystem, eine Erziehung fehlen, wie das Beispiel der jugendlichen Aggressoren von Lichtenrade zeige. Damit wirft Müller ziemlich viel in einen Topf. Der Subtext seiner Verlautbarung nämlich lautet: In Migrantenfamilien – denn die Jugendlichen, die in Lichtenrade einen Polizisten zusammenschlugen, sind nichtdeutscher Herkunft – wird nicht erzogen und kein Wertesystem vermittelt. Wenn er das so meint, dann ist es ein Skandal.
Kommentar von WALTRAUD SCHWAB
In der Tat fällt auf: Die Zahl der Jugendlichen, denen der Respekt vor der Unversehrtheit des anderen wenig gilt, scheint zuzunehmen. Die Gewaltexzesse an Schulen zeigen es. Sie sind aber nur die Spitze einer Entwicklung, die schon länger da ist, ohne dass sie skandalisiert wurde. Denn solange Jacken oder Handy abgezogen werden und Mädchen als Huren, Fotzen oder Schlampen beschimpft werden, spielt sich die Aggression ja noch zwischen Gleichaltrigen ab. Neu ist nun, dass auch Autoritäten – Lehrer und Polizisten – nicht mehr respektiert werden. Da fühlen sich die Politiker herausgefordert.
Müller sieht plötzlich die Eltern gewalttätiger Jugendlicher in der Pflicht. Er will prüfen, ob man jenen, deren Erziehung versagt hat, staatliche Transferleistungen kürzen kann. Dieser Vorschlag ist ein noch größerer Skandal. Sein Subtext nämlich lautet: Arm ist gewalttätig. Er stellt einen direkten Zusammenhang her zwischen Eltern, die von Hartz IV leben, und gewalttätigen Jugendlichen.
So geht es nicht, Herr Müller. Richtig ist: Es gibt Jugendliche, die gesellschaftliche, aber auch familiäre Regeln nicht verinnerlicht haben. Falsch ist: Analogien zu konstruieren, die nur eines im Sinn haben: die Verantwortung der Politik und der gesellschaftlichen Institutionen bei diesem Problem zu ignorieren.