: Frontalzusammenstoß
MACHT Wie unabhängig von der Politik ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Der ZDF-Fernsehrat rügt das Magazin „Frontal 21“
AUS MAINZ STEFFEN GRIMBERG
Vor knapp 30 Jahren drehte der Satiriker Joachim Roering für das ZDF den Film „Zwei Tote im Sender und Don Carlos im PoGl“. Er spielte in einer fiktiven öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt, bei der alle MitarbeiterInnen nach schwarz-rotem Parteiproporz sortiert sind, das „PoGl“, das „Politische Gleichgewicht“ ständig kontrolliert wird, die Politik den Sender als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachtet und es sogar festangestellte Wachhunde gibt. Beim ZDF ist natürlich alles ganz anders: Schäferhunde mit Pensionsberechtigung sucht man beim Zweiten vergeblich.
Ansonsten ist die Realität der Satire wie immer voraus. Nach dem Chefredaktionsausschuss hat jetzt auch der gesamte Fernsehrat der Mainzer Anstalt mit der Mehrheit seiner unionsnahen Mitglieder das ZDF-Magazin „Frontal 21“ abgewatscht. Ein Beitrag zur Hamburger Schulreform vom April 2010 sei einseitig und tendenziös moderiert gewesen, befand das oberste ZDF-Gremium bei seiner Sitzung am Freitag. „Zum wissenschaftlichen Streitstand wurde ein einseitiger Eindruck erweckt“, heißt es in dem Beschluss. „Die Vorgabe zur Selbstverpflichtung zur Moderation ist nicht eingehalten worden.“ Die soll nämlich „distanziert“ und „zurückgenommen“ sein.
Dass dies die schärfste Rüge des Fernsehrats an einem journalistischen ZDF-Format seit Jahren ist, mag nach der Sitzung in Mainz niemand bestätigen, da werde keine genaue Statistik geführt, heißt es beim Sender. Der Fernsehrat sei ohnehin frei in der Form, wie er mit solchen Programmbeschwerden umgehe, sagt dessen Vorsitzender, der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz. Einordnen möchte auch er den Beschluss lieber nicht: Er werde „keine Schulnoten verteilen“, was den Stellenwert der Rüge angehe, stellte aber immerhin klar: „Hier wurde kein Programmgrundsatz verletzt.“
Politische Überwachung
Wozu also das ganze Theater? Die Beschwerde beschäftigt die zuständigen Gremien schon länger, am 11. Februar tagte bereits der „Programmausschuss Chefredaktion“ des Fernsehrats in dieser Sache. Er wacht über die journalistischen, politischen Formate des ZDF – und hier lohnt sich näheres Hinsehen: Seine 24 Mitglieder sind bis auf vier – amtierende oder ehemalige VollblutpolitikerInnen, darunter die Generalsekretäre Hermann Gröhe (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Christian Lindner (FDP), die Chefs der Staatskanzleien von Rheinland-Pfalz (Martin Stadelmaier, SPD) und Sachsen (Johannes Beermann, CDU), NRW-Medienminister Marc Jan Eumann (SPD), Berlins Regierungssprecher Richard Meng (SPD), die ehemalige CDU-Minister Franz Josef Jung, Rudolf Seiters und Gerold Wucherpfennig und Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir.
Den Vorsitz über dieses kleine Pseudoparlament hat Kohls ehemaliger Staatssekretär und heutiger Arbeitgeberverbandsgeschäftsführer Reinhard Göhner (CDU). Sie wachen de facto über genau die Journalisten, die kritisch über sie berichten sollen, die Mehrheit liegt deutlich auf Seiten der Union.
Und die wollte eigentlich sogar noch weitergehen und dem ZDF gleich Hausaufgaben mit auf den Weg geben. „Der Fernsehrat erwartet, dass ‚Frontal 21‘ auch in der Auswahl der Experten dem Anspruch der Selbstverpflichtung [zur Ausgewogenheit, die Red.] gerecht wird. Er geht davon aus, dass sich das ZDF in seinem Programm mit den unterschiedlichen Aspekten des Themas Schulsystem weiterhin ausgewogen auseinandersetzt und dabei notwendige Differenzierungen vornimmt“, heißt es in der ursprünglichen Beschlussvorlage des Chefredaktionsausschusses, die am Freitag doch noch abgemildert wurde.
„Seit Monaten wird versucht, der Redaktion von ‚Frontal 21‘ Druck zu machen“, sagt ZDF-Fernsehrat Michael Konken, der für den Deutschen Journalisten-Verband in dem Gremium sitzt und dem sogenannten roten, SPD-nahen Freundeskreis angehört. Und was sagt der Intendant?
Markus Schächter hatte die Kritik zurückgewiesen und dies auch vor Chefredaktionsausschuss und Fernsehrat klargemacht: Für ihn ist das Ganze lediglich „eine Programmkritik“, sagte er der taz: „Ich habe in der Diskussion deutlich gemacht, dass ich eine andere Einschätzung habe. ‚Frontal 21‘ braucht Ecken und Kanten“, sagte der ZDF-Chef, dem die Union 2009 schon Chefredakteur Nikolaus Brender abgeschossen hatte. Sein Nachfolger ist seit April 2010 Peter Frey. Wegen der politischen Eingriffe hat das Bundesland Rheinland-Pfalz eine Verfassungsklage wegen mangelnder Staatsferne des ZDF in Karlsruhe eingereicht. Viele der politischen Aufseher fürchten daher um ihren direkten Einfluss im öffentlich-rechtlich Rundfunk.
Absurde Auswüchse
Dass Karlsruhe diesen Einfluss stutzen, vor allem seine absurden Auswüchse beim Zweiten für nicht rechtskonform erklären wird, gilt als sicher. Daran ändert auch der lahme Hinweis von Fernsehratschef Polenz nichts, die Grundlage des ZDF-Systems sei „ein 40 Jahre alter Staatsvertrag, den nicht das ZDF, sondern die Länder gemacht haben“.
Damit darf sich dann allerdings ein neuer Intendant auseinandersetzen. Markus Schächter hatte im Januar überraschend angekündigt, nicht für eine dritte Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Als Favorit für die Nachfolge gilt ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut, der PoGl-mäßig für schwarze wie rote ZDF-AufseherInnen akzeptabel scheint. Die Stelle wird noch diese Woche ausgeschrieben, schon am 17. Juni könnte gewählt werden. Schächter geht am 14. März 2012. Dass das ZDF aus diesem Anlass sein Programm ändert und um 20.15 Uhr einen ganz bestimmten Film von Joachim Roering zeigt, ist bislang allerdings – leider – nur ein Gerücht.