: Monumentale Hieroglyphen
COLLEZIONE MARAMOTTI Die Kunstsammlung des Gründers der Modemarke Max Mara in Reggio Emilia zeigt die Einzelausstellung „Il fiume e le sue fonti“ von Thomas Scheibitz
VON BRIGITTE WERNEBURG
Vier neue Arbeiten von Thomas Scheibitz, drei große Tafelbilder und eine Skulptur teilen sich den großen, hell erleuchteten Raum im Untergeschoss der Collezione Maramotti in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia. Auf einem Pult liegt außerdem noch das eigens zur Ausstellung „Il fiume e le sue fonti“ erstellte Künstlerbuch. Die Vernissage am ersten Februarwochenende ist gut besucht. Die Sammlung zeitgenössischer Kunst ist zu Recht über die Stadt hinaus bekannt. Denn schon in den 1960er Jahren begann der ausgebildete Jurist Achille Maramotti (1927–2005), der 1951 das inzwischen weltweit bekannte Modeunternehmen Max Mara gründete (und auch als Bankier erfolgreich war), zu sammeln. Anders als heute, wo unternehmerischer Erfolg eine solche Sammlung geradezu erzwingt, war Maramotti mit seinem Interesse an zeitgenössischer Kunst damals die große Ausnahme.
Exquisiter Geschmack
Er erstand Frühwerke von Pietro Manzoni, Jannis Kounellis, Cy Twombly oder Guilio Paolini, die nun eine besondere Attraktion der Sammlung bilden, neben den Arbeiten der Arte Povera von Gilberto Zorio, Alighiero Boetti oder Giovanni Anselmo und dem Sammlungsblock zur transavanguardia mit Sandro Chia, Mimmo Paladino, Francesco Clemente und Enzo Cucchi.
2003 wurde die Produktion von Max Mara verlagert und in den ehemaligen Werkshallen sind nun, über zwei Stockwerke, 43 Säle sowie zwei Open Spaces verteilt, rund 200 Kunstwerke dauerhaft ausgestellt. Aus den frühen 80er Jahren stammen die Neoexpressionisten wie Jean Michel Basquiat, Julian Schnabel oder Georg Baselitz. In den 90er Jahre konzentrierte sich Achille Maramotti dann vermehrt auf amerikanische Kunst, Alex Katz, Peter Halley oder Christopher Wool. Seine Vorliebe für Malerei ist noch immer deutlich, auch wenn man auf Installationen von Vito Acconci und Cady Noland oder eine konzeptuelle Position wie Sherrie Levine stößt.
Um die Sammlung aufzunehmen, wurde das von den Architekten Pastorini und Salvarani 1957 erstellte, radikal modernistische, lichtdurchflutete Werksgebäude vom britischen Architekten Andrew Hapgood 2007 umgebaut. Es galt die Kunstwerke vor zu viel Tageslicht zu schützen. Entsprechend mussten die ehemaligen Produktionsbereiche verblendet, die Fassade also generell neu gestaltet werden. Mit Hapgoods Klinkervorbauten ist das Gebäude kaum mehr zu datieren.
Thomas Scheibitz muss die zeitlose Anmutung des Hauses gefallen. Schließlich sollen seine Arbeiten, wie er nach der Eröffnung sagt, nicht Zeitgeist, sondern Zeitlosigkeit ausstrahlen. Dabei ist der Zeitgeist in den monumentalen Formaten durchaus gegenwärtig, wie übrigens auch der Geist vergangener Epochen und Welten. Denn Scheibitz versammelt am Grund seiner Bilder ein Sediment visueller Formen und Wahrzeichen, wie sie aus Werbung, Lifestyle-Magazinen, Film und Fernsehen auf uns zukommen, wie sie uns aber auch aus vergangenen Zeiten überliefert und vertraut sind.
Das Zitat findet freilich nur als Neuerung Zugang in Scheibitz’ Bildwelt. Die Zeichen und Bilder werden gedreht und gewendet, bis sie in eine andersartige plastische Geometrie überführt und zu ganz eigenen Protagonisten gemacht werden. Diesen geometrischen, abstrakten Formen scheinen Scheibitz’ Bilder die Bühne zu bereiten, auf der sie, gleich Akteuren eines unbekannten Dramas, auftreten. Folgerichtig heißt eines der in Reggio gezeigten Gemälde auch „VT-Bühne“. Wie der Titel sagt, ist der Bildraum durch ein linksseitiges V und ein rechtsseitig positioniertes T begrenzt. Wer freilich gegen die Sehgewohnheit rechts beginnt und dann nach links schaut, erkennt eine TV-Bühne, die sich zwischen der Typografie in die Tiefe des Bildes erstreckt. Formal, in ihrer hellen, rotbetonten Farbigkeit und ihren abstrahierten Objekten wie Herzen, Lichterkette, Stern und Halbmond, scheint diese Fernsehbühne eine Genealogie von Zirkus und Variéte zu beschwören; wirklich eine den Zeiten trotzende Tradition der Realitätsverfremdung und Glücksbeschwörung mit Hilfe einfachster Formen wie Würfel, Kreis und Glühbirne.
Auch wenn Scheibitz’ Gemälde und Plastiken nicht so narrativ aufgeladen werden wollen – sie verführen unbedingt dazu: Das kleine d (ein auf den Kopf gestelltes P) und das große P im Bildzentrum von „Missing Link in Delphi“ etwa sind so massig gegeneinander gestellt, dass man meint, hier stemmten sich die Zeichen Rücken an Rücken gegeneinander – wie wirkliche Körper. In diesem Moment des „Mit dem Körper sehen“, den Siri Hustvedt zuletzt in ihrem Essay „Was heißt es, ein Kunstwerk zu betrachten?“ beschworen hat, besteht der eigentliche Reiz, seine Bilder räumlich wahrzunehmen. Und zweifellos rührt er auch daher, dass Thomas Scheibitz eine große Sensibilität für die reine Abstraktion im Alltag hat, wie die Materialsammlung seines Künstlerbuchs belegt, das die Monumentalplastiken und Reliefs unseres modernistischen Stadtraums zeigt oder die bunte, abstrakte Geometrie der Blumenrabatten in städtischen Parks und populären Gartenschauen.
Abstraktionen des Alltags
Diese Abstraktionen des Alltags sind in Scheibitz’ Bildern und Skulpturen, etwa „Astor“, einem zur monumentalen Hieroglyphe verwandelten A, stets spürbar und damit eine Vertrautheit mit dem Unvertrauten, die es einem erlaubt, sich schnell mal im Kindergarten der Abstraktion zu wähnen, wie es im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2005 geschah, den Scheibitz mit Dutzenden seiner Gemälde und Skulpturen ausgestattet hatte. Da ist es nicht ohne Ironie, wie dicht und konsequent nun die karg bestückte Schau in Reggio erscheint. Die Beschränkung auf vier Arbeiten bestärkt eben genaues Hinschauen. Bilder und Betrachter gewinnen dabei.
■ Bis 10. April, Collezione Maramotti, Reggio Emilia, www.collezionemaramotti.org