: Die besoffene Partei
SPD Im Willy-Brandt-Haus feiert die SPD den Wahlsieg der Hamburger Genossen wie eine Wiedergeburt – doch die programmatische Erneuerung steht der Partei noch bevor
RALF STEGNER, SPD-LANDESVORSITZENDER SCHLESWIG-HOLSTEIN
AUS BERLIN GORDON REPINSKI
Eigentlich ist es ja der Tag von Olaf Scholz, selbst hier im Berliner Willy-Brandt-Haus. Die absolute Mehrheit in Hamburg erreicht, alle anderen Parteien abgehängt. Eigentlich wäre der erste Auftritt seiner im Norden gewesen. Aber Sigmar Gabriel ist schneller.
Um 18.20 Uhr tritt der Parteichef vor die Genossen in der Parteizentrale in Berlin, die Wangen rot vor Aufregung. „Das Ergebnis zeigt, was Sozialdemokratie kann“, jubelt Gabriel, mit ihm auf der Bühne ist seine Stellvertreterin Manuela Schwesig. Er nennt sie „Erwin Sellerings bestes Stück“. Der Saal johlt.
Die SPD platzt geradezu vor Freude. Es ist ein besonderer Tag für die Partei, dieser 20. Februar. Seit Jahren werden die Sozialdemokraten bei Wahlen regelmäßig von den eigenen Mitgliedern und Anhängern abgestraft, die der Partei bis heute nicht die Sozialreformen der Schröder-Regierung verziehen haben. Jetzt, endlich, mal wieder ein richtiger Sieg. Und das als Auftakt für 2011 mit mindestens sechs weiteren Wahlen.
Tatsächlich ist die Begeisterung über den Erfolg überall zu spüren. Einen „historischen Sieg für Hamburg“ nennt der Europapolitiker Martin Schulz das Ergebnis gegenüber der taz. Von „Rückenwind, den wir brauchen“, spricht der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Ralf Stegner. Und auch der Parteilinke Björn Böhning findet den Hamburger Wahlsonntag „grandios und ermutigend“.
Doch wenn die Überreste der rauschenden Party im Willy-Brandt-Haus weggeräumt sind, wird sich der Blick der SPD vermutlich schnell wieder verändern. Denn danach folgen durchweg weniger erfreuliche Landtagswahlen. In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg im März ist für die Partei der dritte Platz so gut wie sicher, für Rheinland-Pfalz steht der Verlust der absoluten Mehrheit bevor. In Bremen, im Mai, wäre der größte Erfolg, Rot-Grün zu verteidigen. Ähnliches gilt im Herbst in Berlin für das rot-rote Bündnis und für die Führungsrolle in der Regierung in Mecklenburg-Vorpommern.
Ab jetzt, ab Hamburg, und das ist die schlechte Nachricht des Tages für die SPD, gibt es auch eine Menge zu verlieren. „Es ist ein Wahl- und machtpolitisches Konsolidierungsjahr“, wie Martin Schulz diese Tatsache nennt.
Neben all den Machtfragen, die durch die anstehenden Wahlgänge geklärt werden, kommen auf die SPD vor allem inhaltliche Fragen zu. Die wichtigste davon lautet: Wofür steht die SPD überhaupt? Oder, an die eigene Klientel gerichtet: Warum soll man eigentlich außerhalb von Hamburg ein Kreuz bei den Sozialdemokraten machen? Wirklich Aufschluss hat der inhaltsarme Wahlkampf von Olaf Scholz für den Bund nicht gebracht. „Das Ergebnis zeigt, dass wirtschaftliche Kraft und soziale Sicherheit zusammen den Erfolg bringen“, sagte Gabriel. Doch was bedeutet diese dünne Erkenntnis für die SPD?
Im vergangenen Jahr hat Gabriel vor allem versucht, die Partei nach der verlorenen Bundestagswahl zu einen, die zerstrittenen Flügel zur Zusammenarbeit zu bewegen. Das ist gelungen. Daneben musste die eigene Basis und Wählerschaft wieder mit der Partei versöhnt werden. Heraus kamen Korrekturen bei Hartz IV und bei der Rente mit 67. Es war ein bisschen Abkehr – ohne dabei die Agenda-Reformer in der Partei zu vergrätzen. Wirklich nach vorne gerichtet waren diese Veränderungen nicht. Es waren Versöhnungsgesten. Es folgten Debatten über Integrationspolitik, über Stuttgart 21, über Atompolitik. Immer stand die SPD zwischen Grün und Schwarz. Auch in der Steuerpolitik verpassten die Sozialdemokraten den Befreiungsschlag, indem sie sich nicht einigen konnten, ob sie nun mit einer Reform Einkommen eher entlasten oder belasten wollten.
Immerhin, den Handlungsbedarf hat die Partei erkannt und auf der Klausurtagung Anfang des Jahres festgeschrieben. „Wir brauchen ein in sich schlüssiges Haushalts-, Finanz- und Steuerkonzept“, sagt Martin Schulz heute; „Geld für Investitionen hat Vorrang vor Entlastungen“, fordert der Parteilinke Björn Böhning. Im Frühling sollen die bestehenden Löcher im Parteiprogramm gekittet werden. Thema für Thema. Bis dahin sollte der Kater der Wahlnacht überwunden sein.
Als am Sonntag um kurz nach 18 Uhr im Berliner Willy-Brandt-Haus das erste Mal die neue mögliche Sitzverteilung in der Hamburger Bürgerschaft über die Bildschirme flimmerte, folgte nach den stolzen 65 Sitzen für die SPD die Zahl für die wiedererstarkten Liberalen. „Die FDP schafft es wieder ins Parlament mit 8 Sitzen“, sagte die Fernsehmoderatorin. Von den Stehtischen aus hörte man von einer Gruppe jüngerer Parteigänger ein hämisches: „Ohhhhh, uuuhhh, toll“.
Vielleicht ist es die größte Herausforderung des gestrigen Abends für die SPD. Nicht überschnappen, nicht überheblich werden.