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Archiv-Artikel

Internet für Sprechquintett

SPRACHMUSIK Wenn Bits und Bytes ins Musikalische abheben: Die Lautperformance „Changemakers“ von Jirí und Ondrej Adámek fragt in der Neuköllner Oper nach den Weltverbesserungspotenzialen im virtuellen Raum

„Changemakers“ stellt die Chancen des Internets aus und konterkariert sie durch seine Geschwätzigkeit

VON KATHARINA GRANZIN

Es war zwar nicht auf Anhieb klar, was die Organisatoren des kleinen Musiktheaterfestivals „Open Op“ 2010 bewogen hatte, die Produktion „Europeans“ einzuladen, die von einer kleinen Truppe aus Prag mit dem hispanisch entlehnten Namen „BocaLocaLab“ dargeboten wurde. Dass die sprachverliebte, vokalartistische Performance etwas durchaus sehr Musikalisches mit der Sprache anstellte, merkte man aber schnell. Der junge Regisseur Jirí Adámek hat eine Form des lautlich inspirierten Theaters entwickelt, das die musikalischen Qualitäten von Sprache selbst in den Mittelpunkt der Performance stellt, ohne dabei inhaltliche Aspekte zur Seite zu schieben.

Strenge Komposition

Adámeks Stücke (er schreibt den Text, sein Bruder Ondrej die Musik) sind streng durchkomponierte szenische Lautwerke, in denen nichts dem Zufall überlassen bleibt; Ensemblestücke, in denen die DarstellerInnen so sehr aufeinander hören und aufeinander eingestimmt sein müssen wie die Mitglieder eines Streichquartetts. In „Europeans“, einer furiosen mehrsprachigen Inszenierung gesamteuropäischer Bürokratieverrücktheiten und babylonischer Verwirrungen, paarte sich die Strenge der musikalischen Komposition mit einem dezent absurden szenischen Gestus, der hervorragend zum Thema passte.

„Changemakers“, die neue Produktion der Adámeks, die gerade an der Neuköllner Oper Premiere hatte, ist in mancher Hinsicht anders geartet. Dass sie auf Deutsch bzw. Englisch-Deutsch mit fünf deutschen DarstellerInnen entstanden ist, mag dabei eine Rolle spielen. Und auch wenn Adámek-Stücke nur aus Wort-Kompositionen bestehen, ist es doch nicht unwichtig, welches Thema sie umkreisen.

Mit Europa war ein Thema gefunden, an dem man sich aus tschechischer Perspektive ohnehin gern abarbeitet und das zur Satire geradezu einlädt. „Changemakers“, das den Weltveränderungsfuror, aber auch den Chat im Internet aufs Korn nimmt, nimmt eine globalere, man könnte auch sagen: unpersönlichere Perspektive auf seinen Gegenstand ein. Die zugrunde liegende Frage lautet: Verbessern wir mit dem Internet die Welt?

Wenn eine Schauspielerin mit strenger Hostessenattitüde ins Publikum blickt und ruft „Stop the seal hunt!“, so ist dies eine beispielhafte Parole, die älter ist als das Internet selbst, ebenso wie Werbeversprechen, Glücksphilosophien und Agitationsbewegungen jeglicher Art, die die Welt bereits vorher umgetrieben haben. Doch im Internet finden alle eine Heimat, in der sie ineinander verschränkt, miteinander verzahnt, zu einem einzigen großen Stimmengeflecht verdrahtet werden. Auch die Reflexion des Mediums über sich selbst ist Teil des großen Netzes. „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, kann das das Gesicht der Welt verändern?“, fragt ein Darsteller, und „Global gesehen, sind wir alle nur kleine Leute“, während eine andere Stimme gleichzeitig über den Vorzug bestimmter kosmetischer Produkte extemporiert.

Chancen des Netzes werden ausgestellt und gleichzeitig konterkariert durch seine Geschwätzigkeit. Ja, man versteht: Durch permanente Verfügbarkeit haben die Inhalte ihre exklusive Relevanz verloren. Ja. Aber: Da dem so ist, sind auch die Inhalte von „Changemakers“ selbst recht austauschbar. Das Stück lebt, meist, vom Gegen- oder Miteinander verschiedenster Stimmen. Was sie aber reden, ist einem bald egal, und auch der performative Mehrwert des Ganzen macht sich eher rar.

Das große Agitieren

Das große Agitieren beginnt vor allem dann abzuheben, wenn die einzelnen Stimmen das Monologische aufgeben und ihre Parolen auf wenige sprachliche Elemente verkürzen. Momente der Katharsis sind es, wenn sich die Stimmen in minimalistischen Sprechquintetten von rhythmischer Pointiertheit treffen. Da löst sich das Netz vom Boden und hebt ab ins Musikalische, das von dem Gelaber, das uns sonst in Bits und Bytes umgibt, rein gar nichts mehr hat. Das ist schön. Man könnte sich das Ganze auch gut als Hörspiel vorstellen. Noch schöner allerdings wäre es gewesen, wenn es auch ein bisschen mehr Theater gegeben hätte an diesem Abend.

■ Nächste Vorstellungen: Mi. 23. 2., 20 Uhr; 3. 3.–13. 3., 20 Uhr