Dürfen Giftmüllimporte sein?

Die australische Firma Orical will mehrere tausend Tonnen hochgiftiges Hexachlorbenzol (HCB) in NRW entsorgen. Der Giftmüll soll in Verbrennungsanlagen in Herten, Leverkusen und Dormagen verbrannt werden. Sollen sich NRW-Städte diesen Altlasten aus anderen Ländern annehmen?

JA

So gestellt provoziert die Frage natürlich die Antwort: NEIN. Welch schreckliche Vision drängt sich da auf: Nordrhein-Westfalen unter Müllbergen, und dann auch noch Giftmüll!

Diese pauschale Antwort aber wird dem Thema nicht gerecht. Da muss man Tatsachen zur Kenntnis nehmen und eine vernünftige Risikoabschätzung vornehmen: Giftmüll aus Australien soll den weiten Weg nach Europa machen und in unserem Land verbrannt werden. „Wieso?“ fragt man sich als Laie. „Sollen ihn die Australier doch selber entsorgen!“

Das können sie aber nicht. Die Entsorgung in Australien ist gemessen an unserem Standard sehr zurück. Müll wird tief vergraben, basta. Dies ist aber der Firma, bei der Hexachlorbenzol (HCB) als Rückstand bei der Herstellung von Lösungsmitteln entstanden ist, zu gefährlich. Jahrelang haben sie den Giftstoff angesammelt und vorschriftsmäßig verpackt gelagert.

Nun kommt nach Basel 1998 die Vereinbarung von Stockholm 2001, die besagt, dass solcher Müll möglichst schnell zu entsorgen ist. Schnell ist jedoch ortsnah nichts zu machen. Auch in den umliegenden Ländern gibt es keine Lösung für ihr Problem. Die einzige zuverlässige, kontrollierte und beste Entsorgung wird in Europa geboten, und da wiederum in Deutschland. Das erklärt den weiten Transportweg. Näher geht es einfach noch nicht. Zu fordern ist, dass der Transport in die Hände von Fachleuten gelegt wird.

Umwelttechnologie wurde auch von der rot-grünen Regierung als zukünftiger Wirtschaftsfaktor für unser Land gesehen. Da sollte man nun nicht so tun, als wenn der wirtschaftliche Aspekt des Teufels sei. Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern mit einer ausgereiften Technik ist legitim. Folge dieser Hilfestellung könnte durchaus sein, dass wir unsere Technologie in den südasiatischen Raum verkaufen, damit dort wie vorgeschrieben der Müll entsorgt wird, wo er entsteht.

Und mit dem Finger auf Australien zu zeigen, dazu haben wir in Deutschland wirklich kein Recht. Unser Atommüll wird nach Frankreich befördert. Protestiert wird erst, wenn der behandelte Rest wieder zurückgegeben wird. Jahrzehntelang wird er angesammelt. Eine dauerhafte Lösung, wie mit diesem Müll umzugehen ist, hat man bis jetzt verhindert.

Zum Schluss eine viel schlimmere Vision: Deutschland verweigert die Hilfe und die Giftfässer geistern durch die Welt, bis sie eines Tages aus Verzweiflung auf einer wilden Deponie landen.

Dann doch wohl: JA, wir helfen, wenn es notwendig ist.

HILTRUD MEIER-ENGELEN

NEIN

Über eine Entfernung von 16.000 Kilometern Giftmüll transportieren und in der Mitte des Ruhrgebiets mit dem Segen der Politik zu verbrennen: Allein das macht deutlich, wie dreist und ignorant Giftverbrennungsanlagen-Betreiber in Deutschland über berechtigte Interessen der Anwohner hinwegsetzen können. Die werden möglichst nicht informiert, nicht gefragt oder beteiligt. Schuld ist die Gesetzeslage, die es den Betreibern erlaubt, überdimensionierte Anlagen zu bauen und zu betreiben.

Gleichzeitig werden die Bürger mit nicht nachvollziehbaren Geschäftsgebaren des Hertener Betreibers AGR konfrontiert. Die öffentlich getragene Abfallentsorgungs-Tochter des Regionalverbands Ruhrgebiet (RVR) verschwendete Gebühren in dreistelliger Millionenhöhe. Der RVR und das Innenministeriums übten nachweislich nur eine mangelhafte Kontrolle aus.

Die politisch Verantwortlichen müssen deshalb berücksichtigen, dass

- die meisten Rückstände der Müllverbrennung wie Rauchgas, Filterasche, Schlacke, Abwasser freigesetzt werden, wobei eine Vielzahl von Schadstoffen, die während des Verbrennungsprozesses entstehen, an die Umwelt abgegeben werden

- die entstehenden Dioxinmengen bis um das 30- bis 50-fache unterschätzt werden können

- die Emissionsbegrenzung nicht die Giftigkeit und die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Anwohner berücksichtigt

- festgelegte Emissionsgrenzwerte darauf abgestimmt sind, was als technisch durchführbar gilt

- fast alle Risikobewertungen ergeben haben, dass Schadstoffe aus der Giftmüll/Müllverbrennung kein signifikantes Gesundheitsrisiko für Anrainer der Verbrennungsanlagen darstellen. Diese Gutachterergebnisse stehen aber in direktem Widerspruch zu epidemiologischen Studien, bei denen wiederholt negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen nachgewiesen werden konnten

- bei Kindern der Körper im allgemeinen besonders sensibel auf Gifteinwirkungen reagiert. Dennoch werden sie bei Risikobewertungen nicht berücksichtigt

- die Bürger nach dem Vorsorgeprinzip ein Recht darauf haben, dass der Betreiber nachzuweisen hat, dass keine Gesundheitsrisiken zu erwarten sind, bevor ein Gramm Giftmüll in Herten verbrannt wird

Weder bei Ihrer Geldverschwendung noch bei der Förderung von Giftmülltourismus und -verbrennung darf die AGR von der Politik bevorzugt behandelt werden, dürfen die Interessen der Bürger und Gebührenzahler auf der Strecke bleiben.

KARL KNEIP