piwik no script img

Archiv-Artikel

„Eine Art norddeutscher Verbund“

Zur Förderung der Neuen Musik haben Dozenten der Musikhochschulen Lübeck und Hamburg das Konzertprogramm „Jetzt-Musik“ organisiert. Manfred Stahnke, Professor für Komposition, über die Hinwendung zum Volkstümlichen und die Wichtigkeit, den Nachwuchs zur Aufführung zu bringen

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Stahnke, Sie haben – als Repräsentant des Studio 21 – das Projekt „Jetzt-Musik“ initiiert. Dort tritt unter anderem das „ensemble 21“ auf. Wie hängt das alles organisatorisch zusammen?

Manfred Stahnke: „Studio 21“ ist der Oberbegriff für unsere Aktivitäten im Bereich der Neuen Musik und umfasst Vorlesungen, Workshops und Konzerte. Im Sommer 2006 haben Peter Hamel, Frank Böhme und ich zusätzlich das „ensemble 21“ gegründet, um den Kompositionsstudenten die Chance zu geben, neue Klänge auszuprobieren. Dirigent ist der Niederländer René Gulikers.

Und das Projekt „Jetzt-Musik“ – eine Konzertreihe in Hamburg und Lübeck – ist ein punktuelles Ereignis?

Zunächst wird es nur dieses fünftägige, konzertant-workshopartige Austausch-Projekt geben.

Und das künftig alljährlich?

Das wäre sehr schön. Wir wollen aber erst mal sehen, wie es angenommen wird. Mittelfristig möchte ich gern eine größere Kooperation im norddeutschen Raum organisieren. Fühler nach Bremen – insbesondere in die Computermusikabteilung der dortigen Hochschule – haben wir bereits ausgestreckt. Auch Rostock und Hannover möchten wir einbeziehen. Uns schwebt ein norddeutscher Verbund vor.

Dient die Reihe „Jetzt-Musik“ auch der Förderung junger Komponisten, die bislang kein Forum hatten?

Ich halte es für wichtig, dass die Studierenden ihre Stadt verlassen und sich mit ihren Werken auch anderswo präsentieren. Dies kann ein erster Schritt sein.

Gibt es eine spezielle Hamburger oder Lübecker junge Kompositionsschule?

Vielleicht beginnt da gerade etwas – insofern, als sich mein Lübecker Kollege Dieter Mack sehr für ethnische Musik besonders aus Indonesien interessiert, Peter Hamel für Indien und Improvisation. Ich selbst interessiere mich stark für Afrika und Südamerika. Das kommt vielleicht auch daher, dass ich Ligeti-Schüler bin und sehr viel mit Ethnologen gearbeitet habe. Denn kompositorisch müssen wir wegkommen vom zentraleuropäischen Denken – von Ferneyhough, Lachenmann und Boulez. Und das ist etwas, das Lübeck und Hamburg durchaus verbindet.

Sie betrachten diese ethnologischen Elemente als Chance, der neuen Musik eine neue Richtung zu geben?

Ja. Als Chance, die Welt als Ganzes zu sehen, auch Improvisatorisches mit einzubinden, aber auch Jazz zum Beispiel. Es geht darum, Rhythmus und Melodie neu zu sehen und anders zu verwenden, als es bisher der Fall war. Puls und Melodie, Rhythmus und Harmonik sind wesentliche Themen.

Kann dieser ethnologische Blick nicht schnell folkloristisch werden?

Natürlich, und das Problem wurde auch schon Stockhausen vorgehalten. Aber es muss einen dritten Weg geben. Wenn ich griechische Elemente einbringe, darf die Komposition natürlich nicht griechisch sein. Das würde sehr schnell kommerziell. Was wir brauchen, ist eine Verknüpfung verschiedener Elemente, die ich jetzt noch nicht dingfest machen kann. Der Komponist Conlon Nancarrow etwa, ursprünglich ein Jazz-Trompeter, hat den Rhythmus in sehr eigenwillige mathematische Verhältnisse gesetzt, zum Beispiel: eins zu Wurzel aus zwei.

Ist das nicht ein sehr intellektuelles Vergnügen?

Das denkt man zunächst. Aber Nancarrow hat ein sehr sinnliches Resultat erzielt. Seine Musik kam in Großbritannien in die Pop-Charts, weil sie so pulsierend und zugleich so neuartig ist. Man hört diese mathematischen Verhältnisse natürlich nicht, aber der Körper wird mitgenommen.

Und solche Akzentverschiebungen lehren Sie ihre Schüler?

Ja. Mein Lübecker Kollege Dieter Mack hat immer wieder ein indonesisches Gamelan-Ensemble eingeladen, mit dem seine Schüler arbeiten können, anhand dessen sie Klangfarben und Rhythmen ausprobieren können.

Wen unter den bei „Jetzt-Musik“ präsentierten Komponisten würden Sie als zukunftsweisend nennen?

In Lübeck wird zum Beispiel ein Werk von Leopold Hurt aufgeführt. Er hat das Stück „Über Dörfer“ geschrieben. Dafür hat er alte Aufnahmen von alpinem Gesang und Zitherspiel verwendet. Metrisch sehr komplex und oft asymmetrisch. Er ist ein Beispiel dafür, wie ein Komponist die Grenzen unserer bekannten Kompositionswelt überschreitet.

Aber die Idee, Volksmusik einzubringen, ist ja nicht neu.

Es ist keine grundlegend neue Idee, aber es ist authentisch, und das ist wichtig für die Arbeit jedes Komponisten. Leopold Hurt etwa hat am Volksmusik-Institut in München Zither studiert. Er ist ein großer Virtuose. Außerdem stammt er aus dieser Gegend. Er fühlt, dass diese Musik seine eigene ist. Das ist etwas sehr Authentisches. So haben Komponisten immer gearbeitet. Schon Mozart und vielleicht Haydn haben Schrammelmusik aus Tschechien in ihre Werke einfließen lassen. Perotin hat die Straßenmusik des Mittelalters gehört und eingeschmolzen. Ein Komponist sollte immer offene Ohren haben – auch für das Volkstümliche.

Ein weiterer wegweisender Komponist, der bei „Jetzt-Musik“ zu hören sein wird?

„Wegweisend“ sicher nicht, aber noch ein Beispiel: Stefan Peiffer. Er hat die Klavierstile von Cage – das präparierte Klavier – mit Schostakowitsch und Alban Berg verwoben.

Der Blick auf Cage und Schostakowitsch ist ja eher ein Blick zurück.

Die Komposition in dieser Kreuzung ist aber sehr merkwürdig, finden Sie nicht? Eigentlich schließen sich diese Leute doch aus – Cage, der das Komponieren sehr fern gesehen beziehungsweise total verändert hat. Und Schostakowitsch, der von einem Ton des 19. Jahrhunderts kommt.

Ein drittes Beispiel für neue Trends bei „Jetzt-Musik“?

Da wäre noch Donghee Nam aus Südkorea. Sie arbeitet gern multimedial. In einem ihrer Stücke wird ein hoher Sinuston langsam immer tiefer, bis er von einer Sopranistin übernommen wird und in einen Seufzer, einen Schrei mündet. Dieser geht weiter abwärts und mündet in eine große Trauer.

Die Definition von „Sinus-Ton“?

Das ist ein Ton, der technisch erzeugt wird und keinerlei mitschwingende Obertöne hat. Ein steriler, künstlicher Ton, der in jeder Höhe erzeugt werden kann. Donghee Nam benutzt einen zwar sehr hohen Ton, den der Mensch aber noch hören kann. Und der dann – als Glissando – fließend tiefer und von einem Menschen übernommen wird. Irgendwann führt die Sopranistin diesen künstlichen Ton fort.

Die natürlich mit Vibrato und Obertönen arbeitet.

Ja. Ein maschineller Ton wird vom Menschen übernommen, wird sozusagen menschlich. Donghees Anliegen ist es, Mensch und Maschine zusammenzubringen.

„Jetzt-Musik“ mit dem Freiburger Schlagzeugensemble (Werke von Dieter Mack, Steve Reich u. a.): 2. 2., 20 Uhr, Musikhochschule Lübeck (MHS); 4 2., 19 Uhr, Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT).Kompositionen Hamburger Studierender mit dem „ensemble 21“: 3. 2., 20 Uhr, Lübeck; 5. 2., 19 Uhr, Hamburg.Werke der Lübecker Kompositionsklasse: 1. 2., 20 Uhr, Lübeck; 6. 2., 19 Uhr, Hamburg