: Kurt Beck will europäisches Grundgesetz
Der SPD-Vorsitzende hält auf einer Europakonferenz der Sozialdemokraten in Berlin seine erste außenpolitische Grundsatzrede. Beck plädiert für ein europäisches Grundgesetz, für Europa als soziales Projekt sowie für gemeinsame europäische Streitkräfte
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Sogar Parteien gelingt es manchmal, das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden. So hat die SPD alle möglichen sozialdemokratischen Parteien Europas für zwei Tage nach Berlin geladen, um auf einem Kongress politische und soziale Perspektiven des europäischen Kontinents zu debattieren. Acht Wochen vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist das ein von der SPD wohlorganisierter Anlass, um der Kanzlerin auf der großen außenpolitischen Bühne Paroli zu bieten. Die deutschen Sozialdemokraten wollen während der Ratspräsidentschaft eigene Akzente setzen – das ist angesichts dieses politischen Großereignisses in ihren Augen eine schiere Selbstverständlichkeit. Diese Pflichtaufgabe gibt der SPD allerdings auch die schöne Gelegenheit, ihrem international unerfahrenen Parteichef zu einem großen Auftritt zu verhelfen.
Und so hält Kurt Beck auf der Konferenz „Europa gestalten: Globale Friedensmacht – Soziale Wirtschaftskraft“ seine erste außenpolitische Grundsatzrede. Beck ist in Sachen internationaler Politik an diesem Montag ausnahmsweise sogar wichtiger als der Außenminister. Frank Walter Steinmeier beschränkt sich in seiner Rede im Wesentlichen darauf, ein Kurzreferat über vorausschauende europäische Außenpolitik mit Blick auf das Jahr 2025 zu halten. Für die konkreten europapolitischen Akzente ist an diesem Tag Steinmeiers Parteichef zuständig.
Kurt Beck beschreibt für die SPD zwei europapolitische Leitmotive: nach innen ein „soziales und demokratisches Europa“, nach außen ein Europa als „globale Friedensmacht“. Dafür sei es notwendig, „durch und mit Europa das Primat der Politik auf globaler Ebene“ durchzusetzen. Nach Becks Auffassung geht das nicht ohne eine europäische Verfassung. Aber wie soll diese Verfassung nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden gerettet werden? Auf diese europäische Gretchenfrage gibt Beck eine eigene Antwort: Er plädiert für „eine Art europäisches Grundgesetz“, da der Begriff „Verfassung“ in vielen Mitgliedstaaten und auch in Deutschland viel Skepsis hervorgerufen habe. Ein solches Grundgesetz solle allerdings mehr sein als nur eine „terminologische Änderung“. Es könne – neben den zentralen Inhalten des Verfassungsvertrags – in einer Präambel die zentralen Ziele europäische Politik einerseits sowie die nationalen kulturellen Befindlichkeiten und Eigenständigkeiten andererseits hervorheben. „Ein solches Vorgehen“, glaubt Beck, „könnte die Wünsche und Ängste der Menschen aufgreifen und möglicherweise neue Handlungsspielräume eröffnen.“
Einen Schwerpunkt in der 45-minütigen Rede des SPD-Vorsitzenden bildet das „soziale Projekt Europa“. Beck nennt in dem Zusammenhang drei wichtige Punkte: Erstens einen „fairen Standortwettbewerb“, der einen Steuerwettlauf nach unten verhindere, zweitens die „Festigung und Weiterentwicklung von Arbeitnehmerrechten“ sowie drittens die stärkere Berücksichtigung von „konkreten Auswirkungen“, die europäische Vorgaben auf das Leben der Menschen haben. Mit Blick auf die europäische Außenpolitik plädiert Beck für den Aufbau integrierter Streitkräfte der EU-Staaten als „ein langfristiges Ziel“, eine engere Zusammenarbeit mit Russland, die Aufnahme der Türkei in die EU sowie die Erweiterung des UN-Sicherheitsrats. Auch eine „starke transatlantische Partnerschaft“ hebt er hervor – „nicht im Sinne von Gefolgschaft, aber in dem Bewusstsein, dass die USA ein unerlässlicher Partner für Europa sind und bleiben“. Zur Unterschichtendebatte steuert Beck bei, dass „die Armutsbekämpfung wieder verstärkt auf die Tagesordnung“ zu setzen sei.