Glaube an den Titel

Die deutschen Handballer entpuppen sich als wahre Turniermannschaft und steigern sich von Spiel zu Spiel. Warum nicht Weltmeister werden?

DORTMUND taz ■ Es war eine merkwürdige Mannschaft, die da vor acht Tagen in Berlin angetreten ist. Die deutschen Handballer schienen von Selbstzweifeln zerfressen zu sein. Ein müder Auftaktsieg gegen Handballzwerg Brasilien, eine kaum wahrnehmbare Steigerung gegen ein noch winzigeres Zwerglein aus Argentinien und sorgenvolle Mienen, nachdem sich Andrej Klimovets die Wade gezerrt hatte. Ein Torhüter in der Krise, ein Rückraum ohne Durchschlagskraft und eine Abwehr, in der einzig Oliver Roggisch Aggressivität an den Tag legte. Nach der Vorrundenniederlage gegen Polen, die auch Rückkehrer Christian Schwarzer nicht verhindern konnte, schlichen die Spieler mit hängenden Köpfen durch die Mixed Zone.

Nur einer kam immer mit breiter Brust auf die Medienvertreter zu. Wie ein Halbstarker baute sich Florian Kehrmann auf. „Es ist noch nichts passiert“, sagte er nach dem Polenspiel. „Wir sind noch lange nicht satt“, bellte er nach dem Sieg über Slowenien. Als am Samstag nach dem 29:26-Erfolg gegen Frankreich alle von Sensation sprachen, meinte er nur: „Das interessiert mich nicht, dass die Europameister sind. Wir wollten gewinnen, und das ist gelungen, fertig.“ Deutschland stand schon vor dem abschließenden Hauptrundenspiel, dem 33:28-Sieg gegen Island, als Viertelfinalist fest. Kehrmann dazu: „Na und? Wir wollen mehr.“

Der Rechtsaußen war nicht überragend im Spiel gegen die Franzosen, das auch Bundestrainer Heiner Brand so „sensationell“ fand. Er verrichtete seine Arbeit als Spieler zuverlässig. Und doch tat er mehr. Zusammen mit Rückkehrer Christian Schwarzer, der von den jüngeren Teammitgliedern als Motivator geradezu vergöttert wird, verkörperte er den Glauben an den WM-Titel, als andere von der Angst vor dem frühzeitigen Ausscheiden sprachen. Seit Samstag, als im Lärm der deutschen Fans in der Dortmunder Westfalenhalle ein erstes Handballhochamt gefeiert wurde, strecken auch Spieler die Brust heraus, die zuvor eher geduckt dahergekommen sind. Henning Fritz, der als Ersatztorhüter in Kiel lange nicht mehr die Faust ballen durfte, ist plötzlich „wieder der Alte“ (Heiner Brand), so gut wie seit 2004 nicht mehr, als er zum Welthandballer des Jahres gewählt wurde.

Christian Zeitz hat nach katastrophalem Turnierbeginn gezeigt, was er kann. Pascal Hens hat die Leerstelle im Rückraum, die durch seine eigene Zaghaftigkeit entstanden war, selbst wieder gefüllt. Mit Holger Glandorf ist eine Alternative im rechten Rückraum auf den Plan getreten, mit der so recht niemand rechnen konnte. Und selbst wenn Spielmacher Markus Baur, der sich am Samstag einen Muskelfaserriss in der Wade zugezogen hat, passen muss, dann gibt es jemanden, der einspringen kann. Nicht einmal der Bundestrainer hatte sich vorstellen können, dass der wendige Michael Kraus ein adäquater Ersatz für Baur sein könnte. Und dann ist da noch etwas: Aus einer Ansammlung von Spielern, die wegen zahlreicher Verletzungen in der Vorbereitung nie zusammen gespielt haben, ist ein Team geworden. Wahrscheinlich ist es das, was Heiner Brand so sensationell findet. ANDREAS RÜTTENAUER