kino, gedenken etc. : Das Kuscheln der Geläuterten
Am 3. Oktober besuchte ich die Premiere von Sönke Wortmanns Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“. Das Musical-Theater am Potsdamer Platz in Berlin war voll, unter den Anwesenden befanden sich Fußballspieler, Angela Merkel, Minister und Ministerinnen. Die bei Filmpremieren üblichen einleitenden Worte mündeten in Werbung für eine Wohltätigkeitsaktion des Filmverleihs, im Anschluss wurde auf die im Saal anwesende Prominenz hingewiesen. Die Zuschauer klatschten, als Angela Merkels Name fiel, auch die anderen Minister erhielten Applaus, einzig Ulla Schmidt wurde mit Pfiffen bedacht. Zu meiner Erleichterung sah das Protokoll nicht vor, dass man aufstand und gemeinsam die Nationalhymne sang.
Fast habe ich mich daran gewöhnt, dass sich ein Teil der deutschen Filmproduktion in staatstragenden Farben kleidet. Mit großer Geste nehmen sich Regisseure der so genannten bedeutenden, deutschen Themen an („Der Untergang“, „Das Leben der Anderen“, „Das Wunder von Bern“ etc.), ohne dafür nach Formen jenseits des Konfektionskinos zu suchen. Die Präsentation der Resultate geschieht in einem repräsentativen Rahmen, der sich Politikern wiederum zur Inszenierung ihrer selbst andient. Was am Nationalfeiertag der WM-Film von Wortmann ist, das ist am heutigen 9. November ein Gedenkfilm: Joseph Vilsmaiers und Dana Vávrovás „Der letzte Zug“ schildert, wie im April 1943 688 Juden vom Bahnhof Berlin-Grunewald nach Auschwitz deportiert werden (siehe nebenstehende Rezension). „Der letzte Zug“ wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ der Filmbewertungsstelle ausgezeichnet und vorab mit Lob bedacht. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zum Beispiel erklärte: „Dieser Film zeigt, wohin blinder Hass und eine menschenverachtende Ideologie führen, und ist damit zugleich eine Mahnung für ein Miteinander in gegenseitigem Respekt und Achtung vor dem Gegenüber. Aus diesem Grund hoffe ich sehr, dass ‚Der letzte Zug‘ von vielen Bürgern gesehen werden wird.“
Selbstverständlich ist dagegen nichts einzuwenden – außer vielleicht die Erstarrung, die das Vokabular des Erinnerns, Mahnens und Betroffenseins befällt. Der Schock über die Nazi-Verbrechen wird in die sichere Zone der Symbole überführt. Daran knüpft sich der leise Zweifel, dass das Gedenken etwas Wohlfeiles hat – zum Beispiel, weil ausgerechnet die Deutsche Bahn AG den Film unterstützt, während sie zugleich nicht dazu in der Lage sein möchte, sich für eine Ausstellung zum Thema Deportation und Reichsbahn stark zu machen (Artur Brauner, der Produzent von „Der letzte Zug“, ermahnte Hartmut Mehdorn bei der Berliner Premiere des Filmes, diese Entscheidung zu überdenken). Mehr noch, weil es sich um eine Form des Gedenkens handelt, die niemandem weh tut und nichts in Frage stellt, die einen Konsens herstellt, ein Gemeinschaftsgefühl der Gutmeinenden. All die, die an diesem Konsens teilhaben, stehen automatisch auf der richtigen Seite. „Der letzte Zug“ ist einer von den Filmen, die das Grauen, von dem erzählt wird, als ein Problem der Anderen darstellen – als ein Problem der bösen Nazis, die schon qua Haarschnitt und hervortretendem Blauauge eindeutig als solche markiert sind. Das ist eine komfortable Form der Abspaltung. Sie ermöglicht ein Kuscheln im Deutschland der Geläuterten. CRISTINA NORD