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Archiv-Artikel

Polizei grast Berlin ab

Die Zahl der beschlagnahmten Cannabispflanzen ist explosionsartig gestiegen, meldet die Polizei. Sie will die Züchter deswegen verstärkt ins Visier nehmen. Hanfverband spricht von Panikmache

Von Plutonia Plarre

Der Cannabisanbau in Berlin boomt. Nicht nur zum Eigenverbrauch werden die Pflanzen mit dem rauscherzeugenden Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) verstärkt auf Balkons, in Wohnungen und Fabriketagen gezüchtet. Heimisches Gras landet auch immer öfter auf dem hiesigen Markt. Das bestätigten gestern sowohl der Deutsche Hanfverband als auch die Polizei.

Die Zahl der beschlagnahmten Hanfpflanzen sei von 4.006 (im Jahr 2004) auf 23.973 (2006) gestiegen, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Bekämpfung der Plantagen werde deshalb künftig ein Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit sein.

Der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, Georg Wurth, bestätigt den Trend: „Gras wird kaum noch aus dem außereuropäischen Ausland importiert.“ Anders als die Polizei spricht Wurth aber von einer positiven Entwicklung. „Wer selbst anbaut, braucht keine Angst vor Grenzkontrollen zu haben.“ Seit die holländische Regierung eine zunehmend repressive Drogenpolitik betreibe, sei es auch nicht mehr so einfach, sich in den Niederlanden mit Cannabis zu versorgen.

Rüdiger Engler, Leiter des Rauschgiftdezernats des Landeskriminalamtes (LKA), bestätigt, dass sich der Plantagenanbau in den vergangenen Jahren von den Niederlanden über Nordrhein-Westfalen (NRW) „gen Osten“ entwickelt hat. In Berlin gebe es viele stillgelegte Fabriketagen, die sich für den Anbau eigneten. Mitten in der Innenstadt werde mit viel Know-how und großem technischem Aufwand Cannabis gezüchtet. Mit speziellen Lampen, Belüftungs- und Bewässerungssystemen würden zwei bis drei Ernten pro Jahr erzeugt.

Ab 1.000 Pflanzen geht die Polizei davon aus, dass sie es mit Profis zu hat, die das Gras vertreiben wollen. Gerade beim Eigenanbau sei der THC-Gehalt unberechenbar hoch, warnt Engler. Wurth hält das für Hysterie.

Wie groß die Zahl der Cannabisbauern in Berlin wirklich ist, weiß niemand. Sicher ist: Die 23.973 Pflanzen, die 2006 in Berlin beschlagnahmt wurden, sind nur ein Teil dessen, was gezüchtet wird. So aberwitzig es klingt: Verboten ist selbst der Anbau einer einzigen Pflanze; dabei bleibt der Besitz von bis zu 15 Gramm Haschisch zum Eigenverbrauch straffrei.

Meist sind ist es misstrauische Nachbarn, die der Polizei bei der Entdeckung der Plantagen helfen, oder es ist Kommissar Zufall. Im Dezember nahm die Polizei einen 25-jährigen Mann aus Mariendorf fest, der unter seinem Hochbett 46 Pflanzen gezüchtet hatte. Die Beamten waren wegen anderer Ermittlungen in dem Mietshaus gewesen und hatten im Flur Marihuanageruch wahrgenommen. In einem anderen Fall war der Auslöser eine defekte Bewässerungsanlage gewesen. Die Wasserflecken an der Decke hatten die darunter wohnenden Mieter alarmiert. Am Freitag stehen drei Männer und eine Frau vor Gericht. Sie sollen in zwei Wohnungen Cannabisplantagen betrieben haben.